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Titel:

Urnäscher Hungertäfeli

Thema: Leute

Ort: Urnäsch    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1817

Masse: 20 x 16 cm

Standort: Vorbesitz Elsa und Werner Nänny, Herisau; seit 2010 Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-015011

Urheber/-in:

Beschreibung:

Das Urnäscher Hungertäfeli aus dem Jahr 1817 beschreibt in einem kurzen Text, wie teuer Korn zurzeit der Hungersnot war. Die Auflistung der Lebensmittel vergleicht die Preise von 1817 mit denjenigen von 1760.

Das Hungertäfeli wurde jahrelange in einem schwarzem Holzrahmen gelagert. Die Rahmenverzierung und die Schrift in brauner Tinte sind verblasst.

Geschichte:

Die Ursache der Krise von 1816/17 ist nicht monokausal zu erklären. Die Hungersnot war die Folge einer Kette von mehreren verhängnisvollen Ereignissen. Einerseits war 1815 der Vulkan Tambora auf Indonesien ausgebrochen, der alle bisher bekannten Vulkanausbrüche an
Zerstörungskraft übertraf. Die Schmutzwolken blieben jahrelang in der oberen Stratosphäre hängen. Sie schirmten das auf die Erde einfallende Sonnenlicht ab, so dass die Temperaturen zurückgingen. Zudem fiel der Ausbruch des Vulkans ohnehin in eine Kälteperiode, welche von 1810 bis 1860 dauerte. Die kalten Temperaturen waren vor allem in Nordamerika,
aber auch in Westeuropa verheerend bemerkbar. Begleitet wurden die kalten Bedingungen von Gewittern, Hagelstürmen und Überschwemmungen. Andererseits war die Hungersnot auch wirtschaftlich bedingt. Sie wurde durch Konjunktureinbrüche in der Textilindustrie mitverursacht. In den Gebieten mit protoindustrieller Beschäftigungsstruktur verbreitete sich die Arbeitslosigkeit und verschärfte damit die Hungersnot zusätzlich.

Aus vielen Berichten der Ostschweiz tönte es 1816 gleich. "Ein schöner Tag war im Jahr 1816 eine sehr grosse Seltenheit. Fast das ganze Jahr war kalt und regnerisch." (Specker, S. 14, Fortsetzung bei Zusatztexten). Mehrere Berichte beschrieben die Teuerung. Vor der Hungersnot war Pferdefleisch nur von wenigen Leuten gegessen worden, jetzt galt es soviel wie Kalbfleisch. Das Brot war teurer als Käse. Dem Vieh fehlte es so sehr an Futter, dass die Bauern dem halbverhungerten Vieh sogar Tannenzweige verfütterten. Ausserdem wirkte sich die Verdienstlosigkeit fatal aus. Der breiten Bevölkerung fehlte es an Mitteln die hohen Preise überhaupt bezahlen zu können. Schliesslich überboten die Preislisten der Lebensmittel im Frühjahr 1817 alles je Erlebte. Nicht einmal die Teuerung während der Hungersnot 1770/71 hatte einen solchen Umfang angenommen.

Das Urnäscher Hungertäfeli beschreibt eindrucksvoll wie 1760 ein Weber noch 324 Kreuzer (5 Gulden und 24 Kreuzer) als Weberlohn erhalten hatte; im Gegensatz zu 1817, als ihm nur noch 48 Kreuzer ausgezahlt wurden. Von diesen 48 Kreuzer musste ein Weber im Jahr 1817 24 Kreuzer für weiteres Webermaterial aufwenden. Ausserdem beschreibt das Hungertäfeli wie Christian Thäler aus Urnäsch 1761 einen Schneller Garn in St.Gallen für 40 Kreuzer verkaufte und damit einen Viertel Korn kaufen konnte. 1817 hätte er 80 bis 90 Schneller für die gleiche Menge Korn aufbringen müssen.

Neben der Lebensmittelknappheit kam deshalb auch noch die Verdienstlosigkeit zur Katastrophe von 1816/17 dazu. Der ohnehin tiefe Arbeitslohn sank ins Bodenlose. Wer über kein Erspartes verfügte, stand vor dem Nichts. Auf einmal enthüllte sich, wie schutzlos die Lohnabhängigen Krisen gegenüberstanden. Diese Situation wurde besonders verschärft, weil die Krise von 1816/17 Landwirtschaft und Industrie gleichzeitig betraf.

Autorin: Nina Sonderegger, Speicher

Chronologie:

1770/71 Grosse Hungerkrise in der Ostschweiz

1816/17 Hungerjahr in der Ostschweiz mit besonderer Heftigkeit in der Nordostschweiz

Literatur:

Kurmann, Fridolin: Hungersnöte. In: Historisches Lexikon der Schweiz HLS, Version vom 27.11.2006. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16226.php (12.8.2010).

Schneller. In: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, http://germazope.uni-trier.de (13.8.2010).

Specker, Louis und Historischer Verein des Kantons St.Gallen (Hrsg): Die grosse Heimsuchung. Das Hungerjahr 1816/17 in der Ostschweiz. Rorschach 1993, S. 14-42.

Transkription:

Urnäscher Hungertäfeli

Kurze Beschreibung Der Ano 1760 Wohlfeilen,
Und Ano 1817 Theuern u. Verdienstlosen Zeit

Ano 1760, 1817

Ein Viertel Korn, 50 Kreuzer, 11 Gulden

Ein Vierlig Schildmehl, 16 Kreuzer, 3 Gulden und 28 Kreuzer

Vierlig Mussmehl, 12 Kreuzer, 2 Gulden und 8. Kreuzer

Laib Brod, 10 Kreuzer, 1 Gulden und 52 Kreuzer

Vierlig Gersten u. ErbsErbs, 20 Kreuzer, 2 Gulden und 56 Kreuzer

Viertel dürre Birnen, 24 Kreuzer, 3 Gulden und 44 Kreuzer

Mass Landhonig, 48 Kreuzer, 4 Gulden und 56 Kreuzer

Mass: Wein, von 4-12 Kreuzer, von 48 Kreuzer-1 Gulden und 4 Kreuzer

Pfund Fleisch, von 3-5 Kreuzer, von 12-16 Kreuzer

Pfd. Speck u. Unschlitt, 13 Kreuzer, 51 Kreuzer

Pfd. neuen Käs, 2 Kreuzer, 12 Kreuzer

alten Käs, 4 Kreuzer, 20 Kreuzer

Maas Milch 2 Kreuzer, 6 Kreuzer 

Pfd. Erdäpfel 1 Kreuzer, 7 Kreuzer,

Pfd fetten Käs 6 Kreuzer, 28 Kreuzer

Ano 1760 gab man von einem 7/4. breiten 28"ger, von 26 Ellen 5 f. 24 + Weberlohn. Ano 1817 aber nur 48+, wo man noch für 24+ Gschlichte brauchte u. dabei nicht halb genug zu Weben hatte. Ano 1761 hat Christian Thäler von Urnäsch einen feinen Schneller Garn in St. Gallen um 40 + verkauft, u. daraus ein Viertel Korn gekauft. 1817 musste man 80 bis 90 Schneller haben.


Erklärung:
f = Gulden
+ = Kreuzer

60 Kreuzer sind 1 Gulden

"Schneller Garn": Man nannte die Zahl von tausend Umgängen (des Haspels am Handspinnrad) einen "Schneller", nach dessen Gewicht die verschiedenen Feinheiten des Garns gerechnet wurde. 

Tags:

Appenzell Ausserrhoden, Katastrophe, Text, handschriftlich, Handel, Urnäsch, Nahrungsmittel, Naturereignis

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