Zeitzeugnisse

Drucken Alle Suchresultate Artikel davor Artikel danach

 

Bild

Titel:

Stiftungstruhe für das Wildkirchli

Thema: Leute

Ort: Schwende    (Karte anzeigen)

Grössere Kartenansicht

Datum: 25.02.1679

Masse: 33 x 55 x 30 cm

Standort: Museum Appenzell, Objekt-Nr. 1737

Urheber/-in: Pfarrer Ulmann Paul(us)

Beschreibung:

Hölzerne Kleintruhe, welche der Gründer der Einsiedelei im Wildkirchli, Pfarrer Paul(us) Ulmann, 1679 zur Verfügung stellte, um nach seinem Tod (1680) alles darin unterzubringen, was er der Wildkirchli-Stiftung testamentarisch hinterlassen wollte. Auf der Innenseite des Deckels findet sich ein aufgeklebter Zettel, auf dem der Erblasser eigenhändig die Bestimmung des Möbelstücks festhielt: "Dise Lad sambt allem, was darin begrifen und eingeschlossen, ist zu immerwerenden Zeiten dem Schutzengel S(ankt) Michael in der Wilden Kirchen allwegen bey dem Vogt und Verwalter, oder in anderen v(er)sicherten handen, ordenlich solle behalten werden. gschriben den 25. febr. Jars 1679 P(archorus) P(aulus) Ulman stiffter". Dass die kleine Truhe kein Ziergegenstand bildete, sondern als Behältnis für Wertsachen gedacht war, zeigt schon ihre massive Bauweise. Ca. 2 cm dickes Hartholz, massive Eisenbeschläge und ein aufwendiges Schloss sollten verhindern, dass sich Unbefugte daran zu schaffen machten. Derartige Laden, Truhen oder Ghalter waren in einer Zeit, in der noch keine Banken existierten, die übliche Aufbewahrungsart für wertvolle Dinge. Der genaue ursprüngliche Inhalt ist unbekannt und liegt daher der Spekulation anheim. Vermutlich lagen darin der Stiftungsbrief und die autobiografischen Notizen Ulmanns, in der er die Entstehung des Wallfahrtsortes und sein persönliches Wirken im Wildkirchli detailliert beschreibt. Denkbar ist, dass darin Gold- und Silberstücke versorgt wurden, sei es aus dem Erbe Ulmanns, sei es aus den Zinsen, welche die Sennen der zur Stiftung gehörigen Alp Oberbommen zum Unterhalt des Wildkirchli zu zahlen hatten. Auch alte Appenzeller Zeddel (Grundpfandverschreibungen), erworben aus den Überschüssen der Alpwirtschaft, wären denkbar. Bestimmt gehörten da hinein die Rechnungsbücher der Wildkirchlistiftung. Im Landesarchiv Appenzell Innerrhoden befindet sich ein Rechnungsbuch, das die Verwalter in den Jahren 1828-1926 benutzten. Ältere Bände sind nicht überliefert. Für 1830 sind darin als Kapital 300 Gulden in bar, ein Zeddel über 200 Gulden auf "Rämpflers Jokelis Haimat in Hogen" sowie "die Weid Bommen laut Stiftungsbrief" aufgeführt.

Geschichte:

Die Bezeichnung Wildkirchli taucht erstmals 1524 in einem Text des St. Galler Reformators Joachim von Watt (Vadian, 1484-1551) auf. Es ist anzunehmen, dass die Sennen der nahen Ebenalp von sich aus in den Höhlen einen kleinen Ort der Andacht eingerichtet hatten. Als der Kapuzinerpater Philipp Tanner (1578-1656) anlässlich einer Alpsegnung die Stätte 1621 aufsuchte, fand er sie jedoch in verwahrlostem Zustand vor. Mit Unterstützung der Innerrhoder Behörden liess er einen neuen hölzernen Altar und vor der Felsgrotte ein Türmchen mit einem grossen Kreuz errichten. Im Spätherbst 1621 führte er in der dem Erzengel Michael geweihten Kapelle wieder Wallfahrtsgottesdienste durch, die im Volk grossen Anklang fanden. Nach dem Wegzug Tanners von Appenzell 1624 geriet die Höhlenkapelle jedoch zunehmend in Vergessenheit.

Erst drei Jahrzehnte später setzte sich der Appenzeller Pfarrer Paulus Ulmann (1613-1680) auf Anregung Pater Phillips erneut für das Wildkirchli ein. 1656 liess er in der Kirchlihöhle einen steinernen Altar und ein Sakristeigebäude sowie in der unteren Höhle ein Eremitenhäuschen errichten und hielt von neuem Gottesdienste. 1658, zwei Jahre später, gab Ulmann die Pfarrpfründe Appenzell auf und zog als erster Eremit ins Wildkirchli. Der Abschied von Appenzell war ihm insofern leicht gefallen, als sein Kampf gegen Trunksucht und Sittenzerfall zum Zerwürfnis mit den weltlichen Behörden geführt hatten. Nachdem ihn der Bischof von Konstanz 1660 als Propst ins Kloster Lindau gerufen hatte, kehrte er 1669 nach Appenzell zurück und hielt fast bis zu seinem Tod regelmässig Gottesdienste im Wildkirchli. Höhepunkte bildeten das Schutzengelfest am zweiten Sonntag im Juli und der Michaelstag am letzten Sonntag im September.

Unter Ulmann entwickelte sich das Wildkirchli zu einer beliebten Andachtsstätte. Die Innerrhoder Bevölkerung strömte in grosser Zahl zu ihm in die Ebenalp hinauf und die Sennen der umliegenden Alpen waren dankbar für die seelsorgerische Betreuung, die sie sonst während des Alpsommers schmerzlich vermissten. Um die Einsiedelei auch über seinen Tod hinaus zu erhalten, brachte Ulmann Kapelle und Eremitenhäuschen mit allem, was dazu gehört, 1679 in eine Stiftung ein. Dazu gehörte auch die unterhalb gelegene Alp Oberbommen. Ihr Ertrag sollte für den Unterhalt der Gebäude, für das Lesen der Messe und für den Lebensunterhalt künftiger Einsiedler eingesetzt werden. Nach Ulmann lebten 22 Waldbrüder der Schweiz. Eremitenkongregation im Wildkirchli.

Im 18. Jahrhundert erfreute sich das Wildkirchli wachsender Beliebtheit als Ausflugsort für vornehme Touristen. Schriftsteller, Maler, Naturforscher und Kurgäste, welche im Weissbad logierten, strömten in die Ebenalp hinauf. Vor dem Hintergrund der Natur- und Bergbegeisterung im Zeitalter der Aufklärung wurde das Wildkirchli zum Thema literarischer Texte, zum Motiv für Malereien, Zeichnungen und Stiche sowie nicht zuletzt zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen. Die Einsiedler zeigten den teils berühmten Gästen die Höhle, bewirteten sie und verkauften ihnen Bärenknochen als Souvenirs. Die Waldbrüder waren somit zu einer frühen Form von Fremdenführern mutiert und führten ab 1795 sogar eigene Gästebücher. Nachdem 1853 der letzte Waldbruder beim Laubsammeln tödlich verunglückt war, wurde die Einsiedelei nicht mehr besetzt. Anstelle des inzwischen baufälligen Eremitenhäuschens entstand 1860 ein Gasthaus im Stile eines Berner Chalets. Bereits 1846 war in unmittelbarer Nähe das Berggasthaus Äscher erstellt worden, zusammen mit dem Alten Säntis die älteste Gastwirtschaft im Alpsteingebiet.

Autor: Stephan Heuscher, Appenzell

Chronologie:

1524 Ersterwähnung des Wildkirchli durch Vadian

1621 Einrichtung einer Höhlenkirche durch Pater Philipp Tanner

1656 Neuausstattung des Wildkirchli durch Pfarrer Paul Ulmann

1658 Pfarrer Ulmann zieht als erster Eremit ins Wildkirchli

1679 Gründung der Wildkirchli-Stiftung durch Pfarrer Ulmann

1723-1853 Waldbrüder des Schweiz. Eremitenkongregation bewohnen die Einsiedelei

1846 Eröffnung des Gasthauses Äscher

1860 Erstellung eines Gasthauses im Wildkirchli anstelle des Eremitenhäuschens

Literatur:

Bächler, Emil: Aus der Geschichte des Wildkirchli. St. Gallen 1930

Bächler, Emil: Das Wildkirchli. Eine Monographie. St. Gallen 1936

Bischofberger, Hermann: Das Wildkirchli. Seine Stiftung und seine Beziehung zu den Kapuzinern. Appenzell um 1980 [Typoskript]

Fischer, Rainald u.a.: Ebenalp-Wildkirchli. Jubiläumsschrift zum zwanzigjährigen Bestehen der Luftseilbahn Wasserauen-Ebenalp. Appenzell 1974

Grosser, Hermann. Hangartner, Norbert: Appenzeller Geschichte, Bd. 3: Appenzell Innerrhoden von der Landteilung 1597 bis ins 20. Jahrhundert. Herisau, Appenzell 1993, S. 38, 119, 149-153, 374f. und 541

Hutter, Marc u.a.: Das Wildkirchli. Dokumentation für Lehrkräfte der Mittel- und Oberstufe. Appenzell 1997

Küng, Josef et al.: Unser Innerrhoden. 2. Aufl. Appenzell 2003, S. 165-170

Rusch, Johann Baptist Emil: Alpines Stillleben. Lindau 1881

Schmid, Elisabeth: Wildkirchli. In: HLS. Version 17.12.2012. URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12768.php (19.02.2013)

Tags:

Alpstein, Appenzell Innerrhoden, Sachquelle, Leute, Religion, Schwende, Wildkirchli, Ebenalp, Ulmann, Möbel

Ähnliche Themen:

Appenzell Innerrhoden Leute Religion Schwende Sachquelle Alpstein Wildkirchli Ulmann Ebenalp Möbel