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Titel:
Eckstein im Kirchenleben
Thema: Kultur
Ort: Speicher
Datum: 14.05.1808
Masse: 90 x 38 cm
Standort: Südwestecke der reformierten Kirche Speicher
Urheber/-in: Kirchhöre Speicher
Beschreibung:
«Geleget ist zu Gottes Ehre / zum Tempel wahrer Christus Lehre / Der Ekstein den ich hier betracht’ / im Jahr tausend acht hundertacht.» Dieser gut lesbare Text an der Kirche Speicher befindet sich auf dem Eckstein als vergoldete Kursivinschrift. Der an der vorderen Südwestecke auf Kopfhöhe angebrachte Grundstein ist Teil des von 1808 bis 1810 unter Leitung von Baumeister Konrad Langenegger aus Gais aufgerichteten Neubaus. Er wurde am 14. Mai 1808 gesetzt, die Predigt dazu erfolgte am 20. Juni 1808.
Geschichte:
Neben Speicher sind auch für die reformierten Kirchen in Waldstatt, Schwellbrunn, Schönengrund, Stein, Trogen, Rehetobel, Wald, Heiden und Walzenhausen die Daten der Grundsteinlegungen bzw. der Ecksteinpredigten bekannt.
Bezüge zu «Grundsteinen» finden sich im Alten Testament. Die prägnanteste Bibel-Stelle dazu findet sich im Buch des Propheten Jesaia: «Siehe ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist. Wer glaubt, der flieht nicht» (Jesaia 28:16)
Diese Gedanken waren auch für die reformierten Gemeinden des seit 1597 bestehenden eidgenössischen Kantons Appenzell Ausserrhoden verbindlich. Die als Kirchhören bezeichneten Gemeinden bildeten die in vielen Belangen autonomen Grundelemente des kleinen Staatswesens. Sie regelten wesentliche Bereiche des Bau-, Schul-, Kirchen- und Armenwesens eigenständig. Sie wählten die Pfarrpersonen und waren für die Kirchengebäude verantwortlich. Ihre rechtliche Basis bildete die nach langem Ringen 1689 geschaffene «Kirchenordnung der christlichen Gemeinden des Lands Appenzell der Usseren Roden». Zu den pfarramtlichen Verpflichtungen zählte bis 1875 die Führung aller Tauf-, Ehe- und Todesregister.
Im 17. Jahrhundert bildete sich auf Kantonsebene ein obrigkeitlich geprägtes Kirchenregiment aus. Zum Ausdruck kam dieses in den von den Kanzeln zu verlesenden Landmandaten, die kantonsweit geltende Regelungen enthielten. Von Bedeutung waren auch die zu Festtagen erlassenen Oster-, Bettags- und Weihnachtsmandate. Sie stützten sich auf religiös motivierte Bestimmungen der Landbücher ab. Das jüngste «Landbuch des lands Abbenzell Aeußerer Rooden, darinnen alle christenliche ehrbahre und wohlgegründete lobliche Ordnungen und Satzungen» enthalten, wurde 1747 erstellt. Zudem sorgte das um 1600 geschaffene und weltlich geprägte Chorgericht für einheitliche Regelungen in Ehebelangen. Obrigkeitlich gelenkt war auch die seit 1602 mit Statuten versehene appenzellische Synode.
Staat und Gemeinden sorgten dafür, dass Appenzell Ausserrhoden im Inneren nach evangelischen Prinzipien agieren konnte und sich gegen Aussen klar abgrenzen sollte. Explizit erklärte die Kantonsverfassung von 1834: «Die evangelisch-reformirte Religion ist die Religion des Landes. Allen Einwohnern desselben wird der fleißige Besuch der Kirche und des Abendmahles, sowie überhaupt die würdige Feier der Sonn- und Festtage nachdrucksamst empfohlen.» Mit Blick auf die globale Situation wird im Appenzellischen Monatsblatt von 1845 unser Kanton gar als «reformirtestes Ländchen des Erdbodens» bezeichnet. Dazu sei die Bemerkung erlaubt, dass laut Volkszählung von 1842 bereits damals neben 42'251 Reformierten immerhin 1'057 Katholiken in Appenzell Ausserrhoden wohnhaft waren.
Im Nachgang der Revision der Bundesverfassung von 1874 mit markanten Änderungen zum Verhältnis von Kirche und Staat musste auch Ausserrhoden diese Beziehung überdenken. Erst im Zuge der Totalrevision unserer Verfassung kam es 1877 zur Trennung von Kirche und Staat. Die geltende Kantonsverfassung vom 30. April 1995 enthält gar explizit die Bestimmung, wonach die kirchlichen Körperschaften ihre inneren Angelegenheiten selbständig regeln. Und dennoch hat sich eine Jahrhunderte alte Tradition erhalten: Bis heute sind alle reformierten Kirchen im Eigentum der jeweiligen politischen Gemeinden geblieben.
Autor: Peter Witschi
Literatur:
Amtsblatt 1842, S. 336ff.
Appenzeller Monatsblatt 1845, S. 18.
Kantonsverfassung des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 31. August 1834.
Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden: Aa.40 Landmandate.
Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden: Ab.9-1 Landbuch 1747.
wortschatz - Appenzeller Kircheninschriften neu gelesen. Red. Irina Bossart. Schwellbrunn 2024
Tags:
Kirche, Speicher, Verfassung, Pfarrer, Grundstein, Mandate
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