Zeitzeugnisse

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Titel:

Die letzte Ausserrhoder Landsgemeinde

Thema: Politik

Ort: Hundwil

Datum: 27.04.1997

Masse: 14,8 cm x 10,6 cm

Standort: Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, D.030-01-35

Urheber/-in: Kantonskanzlei

Beschreibung:

Platzkarte für einen Fenstersitzplatz mit Blick auf den Landsgemeindeplatz. Die architektonisch-lineare Zeichnung zeigt die Fassade des fünfgeschossigen Gemeindehauses von Hundwil. Die Fenster sind von 1 – 18 durchnummeriert, das oberste Geschoss ist den Vertretern des Fernsehen und Radio vorbehalten. Jeder Fensterplatz ist für einen Ehrengast mit Begleitung vorgesehen. 1997 waren die Plätze wie folgt reserviert:
Nr. 1 + 2 Landammann Hans Höhener
Nr. 3 + 4 Regierungsrat Hanswalter Schmid
Nr. 5 + 6 Regierungsrat Werner Niederer
Nr. 7 + 8 Regierungsrat Ernst Graf
Nr. 9 + 10 Regierungsrat Ueli Widmer
Nr. 11 + 12 Regierungsrätin Marianne Kleiner
Nr. 13 + 14 Regierungsrätin Alice Scherrer
Nr. 15 Ratschreiber Hans-Jürg Schär
Nr. 16 Landweibel Jakob Freund

Geschichte:

Am 27. April 1997 endete mit der letzten Ausserrhoder Landsgemeinde eine Tradition, die in Appenzell Ausserrhoden seit dem Spätmittelalter verankert war. Die Weichen für die Zukunft der Landsgemeinde wurden an diesem Tag selbst gelegt, denn man beschloss, dass am 28. September 1997 eine Urnenabstimmung zur Abschaffung oder Beibehaltung der Landsgemeinde stattfinden sollte. An der Urnenabstimmung im Herbst wurde schliesslich mit 11623 gegen 9911 Stimmen beschlossen, die langjährige Tradition abzuschaffen.

Dass es die letzte Landsgemeinde in Appenzell Ausserrhoden sein sollte, wussten die Stimmbürger am 27. April 1997 jedoch noch nicht. Der ritualisierte Ablauf wurde wie gewohnt eingehalten: Dieses Jahr versammelte man sich in Hundwil. Um 9.30 wurde der Landsgemeindestuhl aufgestellt, was mit feierlichen Klängen vom Musikverein Speicher begleitet wurde. Eine Stunde später um 10.30 Uhr riefen Tambouren und Pfeifer die Stimmberechtigten, seit sieben Jahren Männer und Frauen, in den Ring. Um 10.40 Uhr gab es eine Wiederholung dieses Ausrufs. Um 10.45 Uhr wurde das Landgemeindelied „Ode an Gott“ gesungen. Kurz vor 11 Uhr läuteten die Glocken und der Regierungsrat, der Landammann und der Landweibel marschierten zum Landsgemeindestuhl. Der Landammann eröffnete um 11 Uhr offiziell die Landsgemeinde. Nach einem stillen Gebet wurden die Geschäfte eröffnet. Es folgte die Abstimmung zur Staatsrechnung, die Wahlen des Regierungsrates und des Landammanns. Nachfolgend wurden die Vertreter des Obergerichts und des Verwaltungsgerichts gewählt. Schliesslich wurde über Sachfragen abgestimmt. Die Wahlen und Abstimmungen erfolgten per Handaufheben. Damit das Hände-Mehr bei einer Abstimmung deutlicher abzulesen war, wurden gelbe Stimmzettel verteilt, die die Bürger aufhielten.

Während an der Versammlung wichtige Entscheide getroffen wurden, überwachte die Verwaltungspolizei den Anlass. Polizei und Militär sperrten die Strassen ab, da mit grossem Zulauf gerechnet wurde. Die Ausserrhoderinnen und Ausserrhoder kamen traditionellerweise zu Fuss zu der Versammlung. Platzärzte, der Hütedienst für Kinder und vieles mehr musste im Voraus organisiert werden, um einen reibungslosen Ablauf des festlichen Anlasses garantieren zu können.

Während der Landsgemeinde durften die Ehrengäste vom Gemeindehaus Hundwil aus die Zeremonie mitverfolgen. Nach der Landsgemeinde wurden den Gästen kulinarische Leckerbissen aufgetischt, wie ein Gang aus der damaligen Menükarte belegt: „Filetto di vitello con porcini, risotto, foglie di spinaci“ (Kalbsfilet mit Steinpilzen, Risotto, Spinatblätter).

Dem Wahlergebnis vom 28.9.1997, die Landsgemeinde in Appenzell Ausserrhoden aufzuheben, ging ein Konflikt voraus, der die Wähler beeinflusst haben mag: 1989, acht Jahre zuvor, haben die Bürger an der Landsgemeinde über das Frauenstimm- und Wahlrecht abgestimmt. Das Wahlergebnis war knapp. Der Landammann Hans Ulrich Hohl erklärte die Vorlage als angenommen, zum Missfallen der konservativen Stimmbürger.
Im Herbst 1997 empfahlen die SVP genauso wie die SP, die Vorlage zur Abschaffung der Landsgemeinde anzunehmen, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Die FDP bezeichnete die Landsgemeinde als ein „absolut undemokratisches Wahlverfahren“, wohl wegen dem fehlenden Stimmgeheimnis und dem Abschätzen statt Zählen der Stimmmehrheit. Dies betonten auch die Sozialdemokraten. Die SVP schrieb in einem Communiqué, dass das „Appenzellerland kein Museum ist […] damit sich Touristen an dieser Scheindemokratie ergötzen können“. Die Befürworter der Landsgemeinde argumentierten, dass die Landsgemeinde die Politik sinnlich fassbar mache und deshalb beibehalten werden müsse.
Am 28. September stimmte die Mehrheit dafür, dass es keine Landsgemeinde in Appenzell Ausserrhoden mehr geben sollte. Einen Tag nach dem Urnenwahlgang berichteten die regionalen Zeitungen voller Emotionen und etwas Nostalgie über den Volksentscheid.

Autorin: Liselotte Schwarz, Winterthur

Chronologie:

1597 Festlegung von Trogen und Hundwil als ordentliche Ausserrhoder Landsgemeindeorte
1732 Beginn der Landsgemeindeprotokolle von Appenzell Ausserrhoden
1971 Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene
1989 Annahme des Frauenstimmrechts im Kanton Appenzell Ausserrhoden
1990 Erste Ausserrhodische Landsgemeinde mit Beteiligung von Frauen
1996 Volksinitiative zur Einführung der Urnenabstimmung für Verfassungsfragen
1997.04.27. Die letzte Landsgemeinde wird durchgeführt
1997.09.28. Annahme der Aufhebung der Landsgemeinde mittels Urnenabstimmung

Literatur:

Bendix, John: Brauchtum und Politik: Die Landsgemeinde in Appenzell Ausserrhoden. Herisau 1993.

Landsgemeinde abgeschafft. In: Appenzeller Zeitung, 29.09.1997, S. 1.

Schläpfer, Walter: Das Land Appenzell. Die Landsgemeinde von Appenzell Ausserrhoden. Herisau 1965.

Stadler, Hans: Landsgemeinde. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 13.11.2008. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10239.php (19.04.2016).

Wem’s wohl gefallt. In: Die Wochenzeitung, Nr. 39, 26.09.1997, S. 3.

Tags:

Politik, Volksabstimmung, Appenzell Ausserrhoden, Frauenstimmrecht, Landsgemeinde, Hundwil, Tags: Brauchtum

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