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Titel:
Das Jahr der Zündschnur
Thema: Kultur
Ort: Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden
Datum: 11.09.1989
Masse: 17,7 x 12,1 cm
Standort: Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-020601
Urheber/-in:
Beschreibung:
Die brennende Zündschnur auf dem Trassee der Appenzeller Bahn auf ihrem Weg von Appenzell nach St. Gallen. Impression von der Zündschnur-Aktion des Künstlers Roman Signer (*1938) zum Rahmenprogramm beider Appenzell als Olma-Gastkantone im Herbst 1989.
Geschichte:
In einer Rekrutenumfrage Ende der 1980er-Jahre wurden die beiden Appenzell als langweilig, engstirnig und konservativ charakterisiert. 1989 brachte die Wende. Sowohl im politischen als auch im kulturellen Bereich setzte sich zunehmend ein Geist der Erneuerung durch, ohne das Alte, Bewährte gänzlich über Bord zu werfen.
Im Rückblick erscheint 1989 auch für den Kanton Appenzell Ausserrhoden als aussergewöhnliches Jahr, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Den ersten markanten Akzent setzte die Landsgemeinde, die im vierten Anlauf endlich den Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugestand. Im kulturellen Bereich fand das innovative, mutige Rahmenprogramm beider Appenzell an der Olma – mit der Aktion «Zündschnur» von Roman Signer als Höhepunkt – weit herum Beachtung. Fast gleichzeitig erfolgte die Gründung der Ausserrhodischen Kulturstiftung. Schliesslich nahmen die Arbeiten an einer neuen, zukunftsgerichteten Kantonsverfassung ihren Anfang.
Am 11. September 1989 um 16 Uhr wurde die Zündschnur im Bahnhof Appenzell von Roman Signer in Brand gesetzt. Anschliessend brannte sie während 35 Tagen mit provokativer Langsamkeit auf dem Trassee der Appenzeller Bahn; 2,5 Minuten benötigte sie für einen Meter. Auf ihrem Weg, der zwei Kantonsgrenzen querte, löste die Zündschnur teilweise heftige Reaktionen und Irritation aus und wurde so auch zum «Gesprächsfaden»; gleichgültig liess sie niemanden. Unaufhaltsam, beharrlich näherte sich der Funke seinem Ziel, dem Gaiserbahnhof in St. Gallen, wo er am 15. Oktober eintraf, ein Häufchen Schwarzpulver entzündete und unter den Klängen einer eigens dafür komponierten Bläsermelodie erlosch. Die Zündschnur hat konkrete und ideelle Grenzen überschritten, Denkanstösse geliefert, die Diskussion über Sinn und Unsinn der Kunst beflügelt und dadurch ihren Zweck erreicht. In unserer Erinnerung ist der Funke bis heute nicht erloschen.
Im «Jahr der Zündschnur» wurde – als Ausdruck eines neuen kulturellen Selbstverständnisses – die Ausserrhodische Kulturstiftung gegründet mit dem erklärten Ziel, der zeitgenössischen Kunst und Kultur den ihr zustehenden Platz neben der traditionellen Volkskultur zu verschaffen. Nie bestand dabei die Absicht, die traditionellen Werte in Frage zu stellen; es galt jedoch, die herrschende kulturelle Landschaft zu hinterfragen. Angestrebt wurde ein von gegenseitigem Respekt getragenes Nebeneinander mit dem Ziel, Traditionelles und Zeitgenössisches ohne Berührungsängste miteinander zu verbinden.
Ende 1989 begannen die ersten Arbeiten an der Totalrevision der Ausserrhoder Kantonsverfassung, die am 30. April 1995 die Zustimmung der Landsgemeinde fand. Die Revisionsarbeiten standen unter dem Motto, auch das Ungewohnte zu denken – nicht es zwangsläufig zu tun (Max Imboden, 1915–1969). Erklärte Absicht war, sich zwar Neuem zu öffnen, dieses aber in sorgsamem Abwägen auf dem gewachsenen Boden aufzubauen. Zündschnur, Kulturstiftung und Kantonsverfassung atmen den Geist von Öffnung, Vorwärtsschauen und Grenzüberschreitung. Die «Zündschnur» mag Symbol dafür sein, was schliesslich in der Präambel der neuen Verfassung eine gültige Form fand: «Wir wollen, über Grenzen hinweg, eine freiheitliche, friedliche und gerechte Lebensordnung mitgestalten».
Autor: Hans-Jürg Schär
Literatur:
Quellen:
StAAR, Ca.A5 Kantonsverfassung, Materialien 1989–1995.
StAAR, D.035-02 OLMA-Auftritt appenzell/kulturell 1989.
StAAR, Na.07 Landsgemeinde-Geschäftsordnungen.
StAAR, Pa.141 Ausserrhodische Kulturstiftung.
Literatur:
Imboden, Max: Helvetisches Malaise. Zürich 1964.
Schär, Hans-Jürg: Die neue Ausserrhoder Kantonsverfassung. In: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht 97 (1996), S. 337–359.
Signer, Roman et al.:, Aktion mit einer Zündschnur. Appenzell–St. Gallen 1989. St. Gallen 1989.
Tags:
Fotografie, Appenzell, Kultur, Kunst, St. Gallen, Performance, Roman Signer, Kantonsverfassung, Kulturstiftung, Olma
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