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Titel:

Ohne ihn wäre Appenzell nicht Appenzell

Thema: Kultur

Ort: Appenzell    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1931

Standort: Hauptgasse, Appenzell

Urheber/-in: Johannes Hugentobler

Beschreibung:

Die Löwen-Drogerie an der Hauptgasse erhielt 1931 von Johannes Hugentobler ihr vorteilhaftes Erscheinungsbild mit farbenfrohen Heilkräutern auf den Kästen der Aufzugsläden und ornamentaler Ausmalung der Dachuntersicht.
 

Geschichte:

Da kam einer von aussen und brachte Farbe in die kulturelle Ohnmacht und die serbelnde Wirtschaft der 1920er- und 1930er-Jahre. Es war die Zeit, da die kreativen Kräfte der sennischen Kultur, die dem 19. Jahrhundert bezaubernden Glanz und Strahlkraft aufgeprägt hatten, sich nach und nach erschöpften. Als junger Maler lernte Johannes Hugentobler mit seinem Künstlerfreund Ferdinand Gehr Appenzell und die Menschen dort kennen und lieben. Der Ort wurde ihm Wahlheimat. Hier fand er nach Bildungs- und Wanderjahren seine Schaffensstätte.

Mit dem Auftrag, die Fassade der Drogerie zu bemalen hielt die Farbe Einzug in die Hauptgasse. Trotz anfänglich spöttischem Gerede über das rote Haus mit den Heilkräutern und der markanten Dachuntersicht, war damit die Schmuck- und Zierfreudigkeit der Ladenbesitzer geweckt. Und heute ist die bunte Fassadenbemalung aus dem Dorfbild nicht mehr wegzudenken. Und so urteilte Raymond Broger: «Ohne Johannes Hugentobler wäre Appenzell nicht Appenzell».

Johannes Hugentobler (1897–1955) war eine geistreiche wache Persönlichkeit mit feinen Sensoren für die Dinge in ihrer Klarheit, aber auch für das mit ihnen verbundene Mysterium. Ergriffenheit war der Antrieb zu seinem tiefen Sinn für das Echte und seiner Darstellungskraft christlich religiöser Inhalte und Ikonologien. Die Tafelbilder mit Stillleben, Landschaften, Portraits, Blumen, Engeln usw. sind sublimierte, atmosphärische Räume von spezifischer Farbigkeit. Ohne das Gegenständliche zu verlassen, schuf er malerische Staffagen, seine Bilder sind präzise Setzungen, Choreographien von Farbflächen, Objekten und transparenten Überlagerungen.
Bilder zu schaffen erachtete Hugentobler als höchstes Lebensglück und herrlichstes Abenteuer. Er erarbeitete sich seine eigenen malerischen Darstellungsweisen und Fragestellungen. Aufgewachsen mit Handwerkern im Fischerdorf Staad, schärfte er schon als Knabe sein visionäres Sehen an der Betrachtung des Sees. Es war nicht der Diskurs der Moderne, der ihn interessierte, sondern das Überzeitliche, das die Qualität seines Werks ausmacht.

Aus seinem Geist für das Ganze, das Sichtbare und das Jenseitige wuchs die Gestaltungslust für das Gesamtkunstwerk. Für verschiedene profane Räume entwarf er Möbel, Lampen und Türbeschläge. Mit Leidenschaft und Hingabe widmete sich Hugentobler den sakralen Aufträgen. Seine Kapellen sind kostbare Kleinode. Zu seinen Gesamtkunstwerken zählt die 1937 vollendete Wallfahrtskapelle Maria im Ahorn. Mit der Bruder-Klausen-Kirche von Heerbrugg schuf er 1942/1943 in genialer Verschränkung von Inhalt und architektonischer Struktur ein Universum höchster Ausgewogenheit. Seine persönlichen Worte zu «Bauen und Malen» spiegeln seine respektvolle und komplexe Herangehensweise an die Aufgaben: «Zuerst mit festen und genauen Händen die Mauern ringsum aufrichten gegen die Aussenwelt. Dann mit lautlosen Geisterhänden die Mauern wieder abbrechen, durchstossen mit dem Zauberpinsel, dass sie verschwinden, wegschmelzen wie jene zu Jericho und hereinlassen die Welt der Ahnungen, nicht die Welt wie sie ist, und nicht die Welt wie sie nicht ist: Sondern die Welt wie sie immer ist.» In Tagebuchnotizen und unzähligen Briefen offenbart sich seine Gabe der Verinnerlichung oder wie Iso Keller sagt, «mit den Augen zu denken».

Autorin: Agathe Nisple, Appenzell

Literatur:

Fischer, Rainald: Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Innerrhoden. Basel 1984 (Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 74).

Keller, Iso: Johannes Hugentobler. Schweizer Künstler der Gegenwart. Sonderdruck aus Civitas 04/1953, S. 110–116. [S.l.] 1953.

Nisple, Agathe: Appenzell. Ein Dorf- und Kulturführer, Appenzell Innerrhoden. Herisau 2001.

Hugentobler, Elisabeth. Brunschwiler, Paul (Hrsg.): Johannes Hugentobler, 1897–1955. Appenzell 1978.

 

Tags:

Malerei, Appenzell, Dorfbild, Drogerie, Johannes Hugentobler

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