Zeitzeugnisse

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Titel:

Ein Kasten macht Aussagen zu sich selbst

Thema: Kultur

Ort: Oberegg    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1835

Masse: 180 x 117 x 44 cm

Standort: Musée gruérien / Greyerzer Museum, Bulle, Inventarnummer IG-1051

Urheber/-in:

Beschreibung:

So berühmt die Appenzeller Möbelmalerei ist, so offen ist nach wie vor manche Frage. Dieser in der Zeit zwischen 1830 und 1840 entstandene Schrank ist ein wahres Bilderbuch. Insgesamt sind – die ebenfalls bemalte Türinnenseite mit eingerechnet – 20 Personen dargestellt.
 

Geschichte:

Im freiburgischen Museum Bulle steht ein bemalter Kasten, von dem lange Zeit niemand wusste, woher er stammt. Er trägt weder eine Namensinschrift noch eine Jahrzahl. Das war ja nicht üblich, denn normalerweise bezeugte ein am Kranz aufgemalter Namenszug den Besitzer oder die Besitzerin, für welche das Möbel gemacht war. Dieses namenlose Möbelstück ist immer wieder dem Greyerzerland zugewiesen worden, das die Tradition der Möbelmalerei ebenfalls kennt.

Die Bemalung zeichnet sich durch eine ganz besondere Einzigartigkeit aus. Beide Türfüllungen gewähren einen Einblick in eine Möbelwerkstatt. Unten sind die Schreiner an der Arbeit, oben die Maler, wo man einen Gesellen sieht, wie er eben einen Kasten anmalt, und seinen Kollegen, der Farben anreibt. Der Meister sitzt an der Staffelei vor einem angefangenen Bild, ausgerüstet mit Palette und Pinsel. Man ist versucht zu folgern, der Maler habe das Werk für sich selbst gemacht und deshalb auf eine Namensinschrift verzichtet. Diese Malerei weist in die Biedermeierzeit. Das bestätigen sowohl die Kleidung und Frisuren der dargestellten Personen als auch die Tatsache, dass eine Werkstatt abgebildet ist. Wo aber befand sich diese Werkstatt? Wohin gehört der Schrank? Drei der dargestellten Handwerker tragen ein rotes Brusttuch. Also Appenzell? Doch halt: Dort, wo der Kasten steht, im Freiburgischen, war das rote Brusttuch auch bekannt.

Schauen wir uns das Bildprogramm näher an! Am oberen Türfries sieht man ein liegendes Medaillon mit dem Bild einer Kirche, dem Pfarrhaus und einer  Verbindungsmauer, die zu einer polygonal angelegten Kapelle führt. Wer sich in der Region auskennt, tippt richtig: Berneck mit Kirche, Pfarrhaus und Heiligkreuzkapelle. Zu sagen ist, dass nach 1800 die Möbelmaler angefangen haben, auch einheimische Sujets darzustellen. Auf dem Mittelfries eine mittelalterliche Stadt mit einer Burg vor felsigem Hintergrund. Vergleicht man die Türme dieser Vedute mit entsprechenden alten Ansichten, wird klar: Es ist Feldkirch mit der Schattenburg.
Und ganz unten an der Tür, auch wieder in einem Medaillon, eine steinerne Zweibogenbrücke. Wir wissen, dass die 1811 neu erbaute Kräzerenbrücke über die Sitter unweit von St. Gallen als Sensation wahrgenommen worden ist und deshalb in vielen Stichen eine Wiedergabe gefunden hat.
Aussen an der Kastentür schauen uns vier weibliche Figuren an, modisch kostümiert und versehen mit den Attributen der vier Jahreszeiten. Wahrscheinlich bildeten Kupferstiche die Vorlage dazu. Sehr interessant ist auch die ungewöhnlicherweise bemalte Innenseite der Türe, wo eine Szene aus dem Neuen Testament gezeigt wird, die einer katholischen Bilderbibel aus dem Jahr 1810 entnommen ist. Unten ist eine Männerrunde an einem im Freien aufgestellten Tisch porträtiert, trinkend und jassend. Ihre Spielkarten sind französisch. Also welsch? Könnte man meinen, aber nach der Franzosenzeit jasste man auch im Appenzellerland mit welschen Karten.

Eine schöne Eigenart bilden noch die gerafften Vorhänge zu beiden Seiten der Schranktüre. Nun gibt es aus dem Raum Oberegg mehrere Schränke mit diesem Vorhangmotiv, die als Inschrift typische Oberegger Familiennamen tragen.
Alles in allem heisst das: Unser Maler muss in diesem Raum seine Werkstatt gehabt haben. Möglicherweise hat er oberhalb Berneck gelebt im Weiler Büriswilen, der zwar innerrhodisch ist, damals aber  kirchengenössig zu Berneck gehörte.

Autor: Jost Kirchgraber, Ebnat-Kappel

Literatur:

Quellen:
StAAR, Mq.36 Forschungsdokumentation Appenzeller Bauernmalerei.

Literatur:
Bouvier, Nicolas: Volkskunst. Disentis 1991 (Ars Helvetica, 9), S. 92.

Creux, René: Volkskunst in der Schweiz. Paudex 1970, S. 105, S. 113.

Kirchgraber, Jost: Kunst der Möbelmalerei. Ein ungeschriebenes Kapitel zur Schweizer Kunstgeschichte. Baden 2011, S. 151–157.

Ritz, Josef M.: Alte bemalte Bauernmöbel. Neu bearbeitet von Gislind Ritz. München 1962, S. 30.


 

 

Tags:

Oberegg, Schrank, Möbelmalerei, Greyerz, Werkstatt

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