Zeitzeugnisse

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Titel:

Tradition statt Revolution

Thema: Land

Ort: Schwellbrunn    (Karte anzeigen)

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Datum: 03.11.1798

Masse: 20,5 x 32,6 cm

Standort: Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Mr.09-12

Urheber/-in: Helvetische Republik

Beschreibung:

Zedel vom 3. November 1798, lastend auf der Brisigmüli in Schwelbrunn mit helvetischem Briefkopf «Freyheit. Gleichheit.» Das Leitmotto der neuen Helvetischen Republik, in der die beiden Appenzell zusammen mit der vormaligen Fürstabtei St. Gallen im neuen Kanton Säntis aufgingen, ziert auch das Formular dieses Zedels. Diese Grundpfandtitel gehen auf eine 1629 erfolgte Reform des Hypothekarwesens zurück. Sie bilden, da sie den Flurnamen sowie einen formelhaften Beschrieb der als Grundpfand haftenden Liegenschaft und ihrer Gebäude enthalten, eine wichtige Quelle zur Gebäude- und Siedlungsgeschichte.
 

Geschichte:

Hans Conrad Rechsteiner und sein ebenfalls in Schwellbrunn ansässiger Kreditgeber Hans Conrad Alder liessen den auf 2000 Gulden lautenden Zedel am 3. November 1798 beim Distriktsgericht in Herisau beurkunden. Es war eine zusätzliche Belehnung der Liegenschaft, die bereits mit vier von 1779 bis 1783 errichteten Zedeln im Wert von total 6000 Gulden belastet war. Das «zu einem sichern Unterpfand» eingesetzte Gut lag unterhalb der Rotschwendi in Schwellbrunn und trug den Namen Mühle (später Brisigmüli). Es umfasste «zweÿ Müllenen, Seegen [= Säge], Haus und Heimat, Wies, Weÿd, Holtz und Feld» sowie eine Wiese mit Sommerhütte auf der anderen Bachseite. Aufgelistet sind zudem die Besitzer der insgesamt 20 Nachbarliegenschaften. Abgelöst wurde der Zedel erst am 1. April 1952.

Die Reform des Hypothekarwesens von 1629 wurde primär mit dem Kampf gegen den Wucher begründet. Der Ursprung der Not lag aber auch in der allgemeinen Währungskrise. Die neu eingeführten Zedel sind grundpfandversicherte Schuldscheine. Sie brachten einen Schutz der Schuldner, denn im Unterschied zu heutigen Hypotheken sind sie vom Gläubiger nicht kündbar und der Höchstzinssatz ist gesetzlich vorgegeben. Bis 1835 lag dieser bei 5, danach bei 4,5 Prozent. Kreditgeber waren Privatleute oderöffentlich-rechtliche Körperschaften, die somit die Funktion von Banken übernahmen. Zedel bildeten bis weit ins 19. Jahrhundert die wichtigsten Wertschriften zur Vermögensanlage im Appenzellerland. Das 1912 eingeführte schweizerische Zivilgesetzbuch liess die Errichtung von altrechtlichen Appenzeller Zedeln nicht mehr zu. Bestehende behielten aber unbefristet ihre Gültigkeit. 2005 scheiterte ein Aufhebungsversuch im  Ausserrhoder Kantonsrat knapp. Vorab landwirtschaftliche Liegenschaften bleiben mit teils im 17. Jahrhundert ausgestellten Zedeln belastet.

Eigenartig ist, dass 1798 Rechsteiner als Eigentümer der Brisigmüli auftrat. Sonst begegnet uns in dieser Zeit stets der Müller und Bäcker Jakob Fitzi-Diem (1751–1814). Er hatte die Mühle am Murbach 1779 vom Vater übernommen und verkaufte sie 1807 altersbedingt. Rechsteiners Präsenz dürfte mit Fitzis Einsitznahme im helvetischen Grossen Rat (1798–1800) zu tun haben, die einen Wohnsitz in Bern bedingte. Der Betrieb war eine der gut 110 klassischen, wasserradgetriebenen Getreide- und Sägemühlen, die in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ufer der Appenzeller Bäche säumten. Um 1850 verfügte er über drei Mahlgänge mit modernen Siebzylindern, eine Bäckerei und eine Säge. Inhaber Hans Jakob Schiess-Frehner (1778–1853) beschäftigte drei Müllerknechte und eine Magd. Bald forderte der technologisch bedingte, allgemeine Niedergang der alten Müllerei jedoch seinen Tribut. Von 1856 bis 1891 wechselte die Brisigmüli vierzehnmal die Hand, meist auf öffentlichen Versteigerungen. 1880 gab man die Getreidemüllerei auf, 1914 die Bäckerei und die Wirtschaft, 1917 die Sägerei.

Autor: Thomas Fuchs, Herisau

Literatur:

Appenzeller Zeitung (22.02.2005), (09.09.2005), (13.09.2005).

Fuchs, Thomas et al.: Mahlen, Bläuen, Sägen. 250 Mühlen im Appenzellerland. Herisau 2005 (Das Land Appenzell, H. 35), S. 9-54.

Gemeindearchiv Schwellbrunn, A-02-07.

Schläpfer, Walter: Wirtschaftsgeschichte des Kantons Appenzell Ausserrhoden bis 1939. Gais 1984, S. 30-41.

StAAR, Ba.14-05-03 Liegenschaftskataster Helvetik 1801.

StAAR, Cb.D05-28 Volkszählung 1842 Schwellbrunn.

StAAR, Mr.9-12 Zedel Mühle Untere Rotschwendi.

Tanner: Die Revolution im Kanton Apenzell in den Jahren 1798-1903. In: Appenzellische Jahrbücher 1864, S. 3-56.

Tags:

Bauwerk, Schwellbrunn, Helvetik, Mühle, Zedel, Hypothek

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