Zeitzeugnisse

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Titel:

Ein Hauch der weiten Welt über Innerrhoden

Thema: Wirtschaft

Ort: Gonten    (Karte anzeigen)

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Datum: 20.07.1907

Masse: 13,9 x 9,0 cm

Standort: Louise Dörig, Hüttenstrasse 1, 9108 Gonten

Urheber/-in: Fotoatelier Carl Schneider, Bad Kissingen

Beschreibung:

Schwarz-weiss Fotografie des Ateliers Carl Schneider, Bad Kissingen, auf einer Postkarte der Deutschen Reichspost. Auf der Bildseite handschriftlicher Text "Hoffe Ballon sei in Schweiz gut angekommen. Die besten Grüsse, Kissingen, den 20.07. F.". Auf der Rückseite Briefmarke des Königreichs Bayern, 10 Pfennig, rot mit Stempel Bad Kissingen, 21.07.1907 und Eingangsstempel Gonten, 22.07.1907. Absender: Stickereifabrikant Franz Anton Neff (1832-1908), Empfänger: die Familie des Absenders in Gonten.

Geschichte:

Franz Anton Neff-Gmünder gehörte zu den Innerrhodern, die in Deutschland und Österreich-Ungarn mondäne Kurorte besuchten und dort ihre Geschäfte abwickelten. Zum einen waren es Grempler, welche die Kurgäste mit Molke und Milchwaren versorgten. Die zweite Gruppe, zu der Neff gehörte, hatte ihre Tätigkeit auf die Handstickerei verlegt. Im Frühling bestiegen die Broderieshändler in Appenzell oder Gonten den Zug, die Koffer vollgepackt mit Handstickereien, die sie den Winter über auf eigene Rechnung hatten anfertigen lassen. Meistens waren sie begleitet von jungen Stickerinnen, die am Kurort bestellte Artikel vor Ort auf dem Stickrahmen ausführen konnten. Die Frau des "Fabrikanten" blieb im Heimatdorf, hütete die Kinder und erledigte Bestellungen, die per Post eingingen. Das Hauptgeschäft von Franz Anton Neff lag in Bad Kissingen, aber auch in Nürnberg und Bad Schwalbach war er tätig. Nach seinem Tode trat sein Sohn August Neff-Huber (1875-1963) die Nachfolge an.

Während die Stickerei in Appenzell Ausserrhoden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mechanisiert wurde, fehlten in Appenzell Innerrhoden weitgehend die finanziellen Mittel und die Mentalität für diese Entwicklung. So erhielt sich die Handstickerei in ihrer ursprünglichen Form. Fleissige Frauenhände verfertigten die kunstvollen Produkte in stiller Heimarbeit auf dem Stickrahmen. Die Handstickerei passte besser zu gesellschaftlichen Strukturen, die von bäuerlichen Kleinliegenschaften und vielköpfigen Grossfamilien geprägt waren. Die Mutter konnte im Haus bleiben und musste nicht auswärts der Fabrikarbeit nachgehen. Sie konnte die Familie hüten und erst noch für einen bescheidenen Zustupf zum kargen Familieneinkommen sorgen.

Die Beschäftigung mit Luxusgütern und deren Vertrieb hat in Innerrhoden eindeutig ihren Niederschlag in der Bevölkerung gefunden. Die Geschäftsinhaber mussten ihren Weg finden im Umgang mit den noblen Kunden. Und die jungen Stickerinnen, die einige Sommer lang Kurorteluft geschnuppert hatten, bevor sie sich, natürlich in der Heimat, verheirateten, brachten einen neuen Zug in die vorwiegend landwirtschaftliche Bevölkerung.

Mit dem Ersten Weltkrieg war der Höhenflug der mechanisierten Ostschweizer Stickerei-Industrie vorbei. Die Innerrhoder Handstickerei, welche von jeher eine Nische besetzt hatte, vermochte sich hingegen zu behaupten. Dabei kam ihr ein verstärktes Interesse für solide Konsumartikel aus Schweizer Produktion zu Hilfe. Vor dem Hintergrund von Weltwirtschaftskrise und Geistiger Landesverteidigung förderten das Schweizer Heimatwerk und die Trachtenbewegung das Verständnis für heimische Textilien. 1930 kam es auf Initiative der Fabrikanten und Fergger zur Gründung der Stickerei-Zentrale Appenzell. Diese zertifizierte die Echtheit der Appenzeller Handstickereien durch die Ausgabe von Schutzmarken und schirmte diese bis zu einem gewissen Grad vor der Konkurrenz durch das Ausland und vor maschinell hergestellten Produkten ab.

Autoren: Louise Dörig, Gonten und Stephan Heuscher, Appenzell

Chronologie:

1854 Franz Anton Neff kommt als "Gaisbub" nach Bühl bei Karlsruhe. In der Freizeit stickt er Monogramme für die Kurgäste

1861 Aufnahme der Fabrikation von Handstickereien nach eigenen Entwürfen

1864-1875 eigenes Verkaufsgeschäft in Nürnberg

1875 Bau eines neuen Wohnhauses in Gonten (heute: Dorfstr. 18)

1876-1903 eigenes Verkaufsgeschäft in Bad Kissingen

1889 der ältere Sohn Franz Wilhelm Neff (1865-1914) gründet ein Verkaufsgeschäft in Brückenau

1892 Franz Wilhelm Neff gründet ein zweites Verkaufsgeschäft in Langenschwalbach

1908 Franz Wilhelm Neff gründet wie sein Vater ein Verkaufsgeschäft in Bad Kissingen

1908 Tod von Vater Franz Anton Neff. Der jüngere Sohn August Neff (1875-1963) führt das väterliche Geschäft in Gonten weiter, der ältere Franz Wilhelm gründet neue Firma im Haus "Falkenburg" in Appenzell (heute: Gaiserstrasse 5)

1920 Die Firma Franz Neff in Gonten wird infolge Geschäftsaufgabe aus dem Handelsregister gelöscht.

1932 Die Firma Wilhelm Neff in Appenzell wir infolge Geschäftsaufgabe aus dem Handelsregister gelöscht.

Literatur:

Neff, Karl Augustin: Die Appenzeller Handstickerei-Industrie. Appenzell 1929.

Neff, Karl und Dörig, Josef: Innerrhoder Schöttler, Milchkuranstalten und Broderiehändler im Ausland. In: Innerrhoder Geschichtsfreund 8 (1961), S. 3-30.

Vogler, Patricia: "Man hat zufrieden sein müssen ...". Der Arbeitsalltag von Handstickerinnen in Appenzell Innerrhoden (1920-1955). Basel 2001.
 

Tags:

Appenzell Innerrhoden, Fotografie, Wirtschaft, Bildliche Darstellung, Bilddokument, Handel, Postkarte, Textilindustrie, Stickerei, Broderiehändler

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