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Titel:

Hinrichtung der Mörderin Anna Maria Koch

Thema: Politik

Ort: Gonten    (Karte anzeigen)
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Datum: 13.12.1849

Masse: 44 x 30 cm

Standort: Landesarchiv Appenzell Innerrhoden, E.14.11.01f

Urheber/-in: Signer, Johann Anton (1822-1897)

Beschreibung:

Protokoll der Sitzung des Grossen Rates des Kantons Appenzell Innerhoden vom 3. Dezember 1849. Der Grosse Zweifache Landrat trat an jenem Tag unter dem Vorsitz von Landammann Johann Baptist Dähler (1805-1879) zu einer Sondersitzung als "Blutgericht" zusammen. Appenzell Innerrhoden kannte damals noch keine Gewaltenteilung. Justiz und Parlament bildeten erst ab der Kantonsverfassung von 1873 separate Gremien. Appenzell Ausserrhoden vollzog diesen Schritt in der Kantonsverfassung von 1858.

Nachdem sich die Grossräte nochmals den Hergang der Aufsehen erregenden Mordtat von Gonten hatten schildern lassen, verurteilten sie Anna Maria Koch mit 92 gegen 6 Stimmen zum Tod durch das Schwert. Koch wurde gleichentags auf der Appenzeller Richtstätte, dem sogenannten Galgenring unweit der Ziegelhütte mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten vom Scharfrichter geköpft. Damit war sie die letzte Person im Kanton, an der ein Todesurteil vollzogen wurde.

Geschichte:

Anna Koch vom Hüttenberg ob Gonten (1831-1849, 'Riedsennegnazis Nann') war nach zeitgenössischen Darstellungen eine etwas verzogene, hoffärtige Person, die eine starke Wirkung auf die Männerwelt ausübte und sich dessen wohl bewusst war. Sie hatte eine Liebesbeziehung zu dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Johann Baptist Mazenauer vom Gschwendli unter dem Kronberg (1828-1902, 'Gerersbisch'). Da sie diesen des öfteren betrog, wandte sich Mazenauer der Magdalena Fässler vom Gschwend ob dem Jakobsbad (1831-1849, 'Chromme Bisches') zu. Die im Stolz verletzte Koch folgte ihrer Nebenbuhlerin an Fronleichnam 7. Juni 1849 und ermordete sie. Die Leiche fand man wenige Tage später in einem künstlichen Weiher, der Teuchelrose von Josef Zürcher unweit der Ortschaft Gonten. Wertvolle Trachtbestandteile wie die Brüechlikette und das Halsnoster waren mit Gewalt entfernt worden, die Kleidung zerrissen. Da keine weiteren Gewaltspuren erkennbar waren, gingen die Behörden davon aus, die Tote sei ohne äussere Einwirkung in den Weiher gefallen und ertrunken. Auf Nachfrage erinnerte sich Goldschied Jakob Anton Fässler (1812-1866), dass ihm die Koch die vermissten Schmuckstücke zum Kauf angeboten habe. Deshalb wurden Koch und Mazenauer zunächst verdächtigt, die Leiche gefunden und beraubt zu haben.

Im Untersuchungsverfahren suchte die eifersüchtige Koch nach Kräften, den behördlichen Argwohn auf ihren ehemaligen Liebhaber zu lenken. Sie behauptete, sie sei schwanger und Mazenauer sei daran schuld. Den fraglichen Trachtenschmuck habe sie von diesem erhalten, um damit ein Hochzeitskleid zu kaufen. Diesen dreisten Lügengeschichten wehrlos gegenüberstehend, geriet der unbeholfene Mazenauer unter Verdacht, die Magdalena Fässler nicht nur beraubt, sondern auch ermordet zu haben. Koch und Mazenauer wurden verhaftet. Die Koch stand unter Hausarrest bei der Familie von Landweibel Johann Baptist Peterer (1803-1870), während man Mazenauer in die "Kiste" sperrte, eine hölzerne Zelle auf dem Dachboden des Appenzeller Ratshauses. Diese war so niedrig, dass es dem Verdächtigten unmöglich war, darin aufrecht zu stehen. Da der zu Unrecht Beschuldigte selbstverständlich alles leugnete, griffen die Behörden zum Mittel der "peinlichen Befragung". Johann Baptist Mazenauer war der letzte Mensch, der im Kanton Appenzell Innerrhoden im Namen der Gerechtigkeit die Folter erlitt.

Die Geschichte nahm eine Wende, als sich Anna Koch am 1. September 1849 durch Flucht weiteren Untersuchungen entzog. In Rankweil wollte sie beichten. Der Vorarlberger Priester verweigerte ihr jedoch die Absolution, solange sie ihre Schuld nicht öffentlich bekannt habe. Darauf stellte sie sich der Appenzeller Justiz. Nach einem Teilgeständnis verwickelte sie sich immer mehr in Widersprüche und gestand schliesslich die volle Wahrheit. Die eigentlich tragische Figur war jedoch Johann Baptist Mazenauer. Er trug von der Folter bleibende körperliche Schäden davon. Mit seinen Rechten unvertraut, brachten ihn die Behörden sogar dazu, auf eine Entschädigung für die erlittene Pein zu verzichten.

Autor: Stephan Heuscher, Appenzell

Literatur:

Appenzeller Volksfreund, Nr. 167, 24. Okt. 1959, Nr. 175, 7. Nov. 1959, Nr. 156, 4. Okt. 1984, 2 und Nr. 202, 31. Dez. 2001

Bischofberger, Hermann: Am 3. Dez. 1849 wurde die Mörderin Anna Koch hingerichtet. In: Weishaupt, Achilles: Geschichte von Gonten. Bd. 1. Gonten 1997, S. 34-40

Dörig, Monica: Markus Fischli (1921-2008). In: Innerrhoder Geschichtsfreund 50 (2009), S. 190-192

Fischli, Alfred: Anna Koch. Historische Tragödie aus Appenzell Innerrhoden in 7 Akten und 3 Zwischenspielen. Appenzell 1960

Fischli, Claudius: Alfred Fischli (1921-2007). In: Innerrhoder Geschichtsfreund 49 (2008), S. 188-190

Grosser, Hermann. Hangartner, Norbert: Appenzeller Geschichte. Bd. 3: Appenzell Innerrhoden von der Landteilung 1597 bis ins 20. Jahrhundert. Herisau, Appenzell 1993, S. 346-348

Hüsler, Martin: 160 Jahre voller Saft und Kraft. Mit einer Ausstellung ehrt das Museum Appenzell das Schaffen der 80-jährigen Zwillinge Alfred und Markus Fischli. In: Appenzeller Magazin, Nr. 6, Juni 2001, S. 22-25

Hüsler, Martin: Alles Theater. Im Appenzellerland widmen sich ein paar Gruppierungen praktisch ausschliesslich dem Theaterspielen. Heiteres und Besinnliches kommt auf die Bretter. In: Appenzeller Magazin, Nr. 12, Dez. 2001, S. 12-23

Rechsteiner, Rolf: Ein äusserst vielseitiger Kulturträger. Zum Hinschied von Bauernmaler und Theatermacher Alfred Fischli (4. April 1921-20. Jan. 2007). In: Appenzeller Volksfreund, Nr. 12, 23. Januar 2008, S. 3

Wild, Alfred: Rede zur Vernissage der Sonderausstellung 'Alfred und Markus Fischli. Zum 80. Geburtstag'. In: Innerrhoder Geschichtsfreund 41 (2000), S. 69-76

Transkription:

Grosser zweifacher Landrath und Blutgericht abgehalten den 3ten Christmonat 1849.
Sub Präsidium Tith. Herr Landammann Dähler

Art. 1
Der Präsident eröffnete die Sitzung mit den tiefsten Ausdrüken des Bedauerns, kaum seien 4 Monate verflossen, als die gleiche Behörde sich versammeln musste, um über Leben und Tod zu urtheilen. Die zu beurtheilende Anna Maria Koch, 18 Jahre alt, habe eine schauderhafte Morithat an der Magdalena Fässler verübt. Mangel an Religions-Unterricht, eitle Gefallsucht, Hang nach schönen Kleidern, um eine baldige Braut zu werden, seien die Hauptursachen dieser schauerlichen Mordthat. Nachdem der Präsident um den Beistand des göttlichen Geistes gefleht, wurde zu den weitern Verhandlungen geschritten.

Art. 2
Die sämtlichen Rathsmitglieder wurden durch Namensaufruf nach dem Verzeichniss der Rhoden verlesen, wobei es sich ergab, dass 5 Mitglieder fehlten.

Art. 3
Der 129te Articel der Rathsverschwiegenheit im Alten Landbuch wurde verlesen und zu halten neüerdings bestättet.

Art. 4
Der Präsident der Verhörkommission erstatte einen umfassenden Bericht über die erwähnte Mordthat der Anna Maria Koch, welcher von den übrigen Mitglieder der Verhörkommission bestättet und folgendermassen lauttet:
Am 12ten Juni dieses Jahres Nachmittags 3 Uhr wurde in der Teüchelrose in der Weid des Josef Zürcher in Gonten ein Leichnam gefunden, welcher sogleich als die Tochter von Johann Baptist Fässler (Krommenbisches) erkannt und seit dem Frohnleichnamsfeste als vom 7ten Juni vermisst wurde. Das Resultat der am 13ten gleichen Monats vorgenommenen arztlichen Obduction war, dass besagte Fässler wahrscheinlich im Dunkel der Nacht vom Wege sich verirrt und durch einen Fehltritt in den Graben gestürzt und durch Ermattung und Gehirn-Affection ihren Tod gefunden habe, ohne dass Spuren von einer gewaltsamen Todesart konnten wahrgenommen werden. Anna Maria Koch, welche laut Anzeige die Unglückliche am Frohnleichnamsfeste gesehen haben solle, benahm sich schon in Gonten furchtsam und sehr verdächtig. Schon am 10ten Juni, zwei Tage vor der Auffindung des Leichnams, hatte Anna Maria Koch als Brüchliketten vorallen, Eicheln und Schloss von einem Halsnoster an hiesige Goldarbeiter verkauft, welche alsobald als der Unglücklichen angehörende Waare erkannt wurde. Anna Maria Koch wurde hierauf gefänglich eingezogen und hat in dem mit ihr unterm 14ten Juni vorgenommenen Verhör auf die Frage, woher sie diese Silberwaare bekommen? folgendes abgegeben:

Am Sonntag nach dem Frohnleichnamsfeste habe sie den Johann Baptist Mazenauer (Gerersbischenbub) in dem Aker vom Baptist Manser (Mällis-Bischelis) getroffen. Derselbe habe ihr da die benannte Waare, welche er gefunden zu haben vorgab, übergeben mit der Erklärung, sie solle die Waare an 3 Orten verkaufen, damit es weniger Aufsehen errege, den Erlös von der Waare solle sie in ein Geldsäkeli bringen, selbes an einen Ort hinlegen, dann mit einem Zeügen an dieser Stelle vorbeigehen, das Geldsäkele aufnehmen und sagen: sie habe es gefunden. Später möge sie dann aus diesem Gelde ein Hochzeitkleid kaufen, im Herbst wollen sie sich mit einander verehlichen.

In Folge dieser Umfrage wurde Mazenauer eingezogen. Die Koch beharrte lange auf diesen Aussagen, obschon Mazenauer alles in Abrede stellte; selbst bei der Confrondation am 6ten Juli unter Stokstreichen bestätigte sie das Gesagte, wobei dem Mazenauer die wichtigen Worte entfielen, sich gegen Anna Maria Koch wendend: "Wann soll ich die Mordthat begangen haben?"

Der Verhörrichter, welcher bis zur Stunde auf keine Mordthat denken konnte und einzig von der Ansicht ausgieng, die benannten Gegenstände seien der Verunglükten ohne Mord entwendet worden, musste nun durch die Aussage Mazenauer auf den erschrekenden Gedanken fallen, es habe hier eine Mordthat stattgefunden. Anna Maria Koch erklärte sich nach langem hin- und herzaudern endlich auf das Bestimmteste, Johann Baptist Mazenauer sei der Mörder der todt gefundenen  Maria Magdalena Fässler. Diese That habe sie deswegen nicht anfangs angezeigt, weil sie dem Mazenauer als ihrem Liebhaber verschonen wollte. Anna Maria Koch hatte anfänglich über die Art und Weise, Ort und Zeit von dieser Mordthat sehr schwankende und wieder sprechende Worte geführt, dann aber später unter Schreken Examen sich folgend erklärt:

Mazenauer sei der gewisse Mörder dieser Unglüklichen, er habe ihr am Frohnleichnamsfeste auf dem Heimwege nach dem vormittägigen Gottesdienst das Vorhaben entdekt, dass er Nachmittags die That vollführen werde; sie (Koch) soll circa 6 Uhr auf dem Plaz bei der Teüchelrose eintreffen. Diesem Rufe habe sie gefolgt und als sie zur fraglichen Stelle gekommen, sei Mazenauer, die Unglückliche an den Kleidern herbeischleppend, vom nahe gelegenen Walde herbeigekommen und habe selbe, da sie nun schon todt war, bei der Roose niedergelegt; die Silberwaare habe er in der Hand getragen und ihr selbe zum Verkauf übergeben; mit dem Leichnam [ging] er wieder in den Wald zurück, indem er gesagt, er liege hier nicht am rechten Ort. Diese nun falschen Aussagen hatte Anna Maria Koch dem Mazenauer wiederholt und kek ins Gesicht gesprochen: "Du kannst und darfst es nicht läugnen." Mazenauer betheüerte dagegen immer, selbst unter einer starken Zahl Stokstreichen, dass er an dieser That keinen Theil genommen habe und Anna Maria Koch die Unwahrheit rede. Mazenauer behauptete, diese That habe gewiss ein Fremder gethan.

Am 13ten vorigen Monats ist endlich Anna Maria Koch von ihren bisherigen falschen Aussagen und Behauptungen durch Antrieb von Gewissensbissen zurückgetrethen und hat in dem Verhör die bestimmteste Erklärung abgegeben, sie selbst habe einzig den Mord an Magdalena Fässler begangen und Mazenauer habe keinen Theil an dieser That, deswegen sie ihn als schuldlos erkläre. Die verübte That erzählte sie mit folgenden Umständen. Sie habe zur Zeit von der Kreüzwirthin in Gonten eine Halskette gekauft, welche sie am letzten Frohnleichnamsfeste bezahlen sollte. Weil sie aber nirgendwo Geld zu erhalten vermochte, habe sie den unseligen Gedanken und Entschluss gefasst, die besagte Magdalena Fässler zu morden, dann ihr die Silberwaare zu rauben, wodurch sie das nöthige Geld erhalte, um damit die Kette zu bezahlen. Am Frohnleichnamsfeste habe sie die Fässler Anfangs der Vesper auf dem Kirchhofe in Gonten getroffen, selbe angehalten, mit ihr zu gehen unter Vorgabe, sie habe ihren Rosenkranz verlohren, Fässler möchte ihr doch denselben suchen helfen; als sie zur erwähnten Teüchelrose gekommen, habe sie der Fässler einen Stoss versezt, so dasselbe ins Wasser und unter die Teüchel gefallen sei; die Fässler habe sich nochmals erhoben, da sei sie (die Koch) selber in die Roose hineingestiegen und der mit dem Tode Kämpfenden noch den Mund von einander gerissen und unters Wasser gehalten, darüber habe die Ertrinkende noch ein paar Mal geschlukt und sei darauf geschwind erstikt. Bei dieser Gelegenheit habe ihr die Fässler noch die Brüchleketten zerrissen. Nachdem habe sie ihr den Schmuk (die Silberwaare) von den Kleidern gelöst. Jezt sei in ihr (Koch) auf einmal der Gedanke aufgestiegen, was sie nun verübt habe; alsdann habe sie sich weit in den Hüttenberg Wald geflüchtet und sich nachher nach Gonten begeben.

Art. 5
Nachdem die üblichen Formen und die gestellten Bittgesuche beendigt waren, wurde von Mitglied zu Mitglied zur Umfrage geschritten und:

In Betracht, dass Anna Maria Koch mit Vorbedacht und absichtlich einen Mord an Magdalena Fässler verübt habe.

In Betracht, dass sie mit verwegener Böswilligkeit eine lange Zeit die That geleugnet und mit den ausgedachtesten Lügen auf eine andere Person, nämlich Johann Baptist Mazenauer wälzen wollte.

In Betracht, dass die Anna Maria Koch (obschon jung von Jahren) mit voller Ueberlegung und Kraft auf die frechste Weise den Mord vollführt und endlich in Erwägung, dass keine rechtliche Milderungsgründe hervorgehoben werden können, wurde mit 92 gegen 6 Stimmen zum Recht erkannt und gesprochen: Es solle Anna Maria Seraphina Koch das Urtheil auf offener Strasse anhören, dann auf die Richtstätte geführt und allda durch den Scharfrichter mit dem Schwerth vom Leben zum Tod hingerichtet werden.

Art. 6
Am Ende wurde noch die Anzeige gemacht, dass Johann Baptist Mazenauer, welcher von der Anna Maria Koch als schuldlos erklärt, von Wochenrath und Zuzug entlassen worden, obschon derselbe vielfach der Mitwisserschaft vielfach verdächtiget war, nachdem Mazenauer vorher aus freien Stüken der Anna Maria Koch von ganzem Herzen verzogen, mit der weitern Erklärung, dass er auf keine Art und Weise irgend mit einer Reclamation einkommen werde.

Ende des Rath
 

Tags:

Appenzell Innerrhoden, Justiz, Kriminalität, Textdokument, Protokoll, handschriftlich, Koch Anna Maria, Signer Johann Anton

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