Zeitzeugnisse

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Titel:

Das Ende des Goldenen Zeitalters?

Thema: Wirtschaft

Ort: Trogen    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1822

Masse: 35 x 52,5 cm

Standort: Privatbesitz Zapasnik, Trogen; Digitalisat Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-019423

Urheber/-in:

Beschreibung:

Jedes Land hat sein Goldenes Zeitalter. Für die breite Schicht der ausserrhodischen Heimarbeiterinnen und -arbeiter, für die Fabrikanten und Kaufleute war die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts golden: «Es send doz’mol no Zyte gsee, | Nä i vergess es nommemeh, | ’sHet Glöck gad ihe g’regnet», hielt der Weber und Dichter Johannes Merz (1776–1840) gegen Ende seines Lebens fest.(1) Tatsächlich schaut Appenzell Ausserrhoden noch heute wehmütig auf die Jahre zurück, in denen die Baumwolle Reichtum ins Land brachte. Was führte dazu, dass mit dem Wechsel ins 19. Jahrhundert vieles anders wurde?

Geschichte:

Um 1800, an der Schwelle zur europaweiten Mechanisierung und Einführung der Fabrikarbeit war Appenzell Ausserrhoden dichter besiedelt als die übrige Schweiz. Die Mehrzahl der damals rund 40 000 Einwohner und der in vielen Berufen Beschäftigten erfreuten sich eines vergleichsweise hohen Lebensstandards. (2) Doch mit den englischen Maschinen und dem fabrikmässig produzierten Garn brach eine neue Zeit an.

Diversifikation gefordert
Noch während der Blüte der Heimindustrie und in der Zeit der rasch wechselnden Konjunkturlagen zwischen 1798 und 1815 warnten führende Persönlichkeiten vor den Gefahren einer einseitigen Konzentration auf die Baumwollverarbeitung. Sie forderten eine höhere Diversifikation, etwa durch die Errichtung von Woll- und Leinwandmanufakturen, die Ausnutzung der Bodenschätze und die Förderung des Handwerkerstandes. (3) Johann Caspar Zellweger (1768–1855) brach seinen Feldversuch mit der mechanischen Spinnerei im Töbeli zwischen Trogen und Speicher ab, nachdem seine Fabrik 1814 einem Brand zum Opfer gefallen war. Zellweger, ein exakter Beobachter internationaler Strömungen und Tendenzen im Textilsektor, hatte erkannt und beschrieben, dass die Engländer neue Maschinen erfunden hatten und erfinden würden, die zur Folge hätten, dass die Produktion wohlfeiler, schöner und schneller wäre als in seinem Land je möglich sein würde. (4) Die an kleinen Bachläufen gelegenen ausserrhodischen Betriebe abseits von Strassen und Wasserwegen konnten nicht mit den an wasserreichen Flüssen gegründeten Grossfabriken mithalten, die anderswo entstanden und mit ihren Waren auf die Märkte drängten.

Agil bleiben und Neues prüfen
Die Zellweger'sche mechanische Spinnerei im Töbeli war weder ein besonders innovativer noch ein erfolgreicher Betrieb. Er steht jedoch beispielhaft für die Versuche vorausschauender Kaufleute und Fabrikanten, die neuen Technologien aufzugreifen. Zudem ist er hervorragend dokumentiert: Dank Briefen, Geschäftsbüchern sowie der Lebensbeschreibung eines Spinnereibubs lässt sich die Geschichte der Fabrik nachzeichnen, von den Lohnkosten der arbeitenden Kinder, Frauen und Männer und deren Alltag über die technische Ausrüstung der Fabrik, die Rohstoffbeschaffung bis hin zur Garnvermarktung. (5)

Fabriken nur in der Ausrüstindustrie
Nach Besitzerwechseln wurde 1835 im Töbeli die erste Webmaschine von Ausserrhoden installiert. Wasserkraft trieb 24 Webstühle sowie Spul-, Zettel-, Schlicht- und fünf Spinnmaschinen an. Schweizweit soll sie eine von wenigen Fabriken gewesen sein, in denen «die ganze Reihe von Arbeiten, bis aus der rohen Baumwolle ein fertiges Stück Baumwollentuch vorliegt, beisammen zu sehen» war. (6) Aber auch diese Fabrik musste bereits 1843 schliessen. Selbst in der später aufkommenden Maschinenstickerei behielt die Heimproduktion die Oberhand. Einzig auf dem Ausrüstsektor der Textildruckereien, der Bleichereien und der Appreturen konnte sich im Kanton die fabrikmässige Produktion etablieren und bis weit ins 20. Jahrhundert halten. (7)

Autorin: Heidi Eisenhut, Trogen

Chronologie:

1804 Bau der Trogener Spinnereifabrik

1805 Inbetriebnahme der Spinnerei

1814 Brand der Trogener Spinnereifabrik

1820 Errichtung des Privatinstituts im ehemaligen Arbeiterwohnhaus

1821 Eröffnung der Kantonsschule im Gebäude des «alten Konviktes» mit 17 Schülern

Literatur:

Anmerkungen: (1) Merz, Gedichte, S. 62; (2) GAV I, S. 3–6; (3) Siehe z.B. Schäfer, Erinnerungen, passim und zusammenfassend S. 40–42; (4) Zellweger, in: AM 6 (1826), S. 97–103; (5) KBAR, Fa Zellweger : 40/A Lebensbild von Johann Konrad Zellweger; Witschi, Mechanische Spinnerei, S. 47–62 (mit weiteren Quellenverweisen); KdmAR II, S. 33 (Abb. 40) und 48 (H 20); (6) AM 2 (1834), S. 32; (7) Tanner, Spulen, S. 44f.

Quellen: KBAR, Fa Zellweger 40 [Teilbestand Zellweger, Johann Caspar]; Merz, Johannes: Des poetischen Appenzellers sämmtliche Gedichte in seiner Landessprache. Neueste verbesserte und stark vermehrte Ausgabe. St. Gallen 1836; Schäfer, Johann Conrad: Vaterländische Erinnerungen an meine Mitlandleute des Kantons Appenzell VR. Über das Verhältniss der Landesproduktion gegen die angewohnten fremden Bedürfnisse. [Herisau] 1811; StAAR, Pa.021 Kommerzialarchiv Zellweger; Zellweger, Johann Caspar: Ueber Maschinen überhaupt und ihre Anwendung auf unsere Fabrikation. In: AM 6 (1826), S. 97–103.

Literatur: AG II; AM 2 (1834); Bodmer, Textilgewerbe und Textilhandel in Appenzell-Ausserrhoden vor 1800. In: AJb 87/1959 (1960), S. 3–75; GAV I; KdmAR II; Schläpfer, Wirtschaftsgeschichte; Tanner, Schiffchen; Tanner, Spulen; Witschi, Peter: Die Mechanische Spinnerei Trogen. Aus den Anfängen der Fabrikindustrialisierung. In: AJb 117/1989 (1990), S. 47–62; Witschi, Peter: Porträt der appenzellischen Industrielandschaft. In: Altherr, Fabrication, S. 9–48.

Tags:

Technik, Trogen, Bildliche Darstellung, Zellweger, Textilindustrie, Spinnen, Weben

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