Bild
Titel:
Programmblatt des Appenzeller Trachtenfestes 1904
Thema: Kultur
Ort: Appenzell (Karte anzeigen)
Grössere Kartenansicht
Datum: 07.08.1904
Masse: 22 x 13,9 cm
Standort: Museum Appenzell, Inv.-Nr. 20989
Urheber/-in: Kur- und Verkehrsverein Appenzell
Beschreibung:
Programmblatt des Appenzeller Trachtenfestes vom 7. August 1904. Zum erstenmal organisierte der junge Kur- und Verkehrsverein Appenzell eine solche Grossveranstaltung. Die Schrift orientierte die Besucher über den Ablauf der 24 Bilder, mit denen die Tourismus-Organisation ein idealisiertes Bild des ländlichen Lebens inszenierte. Ziel des Anlasses bildete die Förderung des Innerrhoder Fremdenverkehrs. Ein mehrtägiger Bazar trug überdies zur finanziellen Stärkung des 1899 erneuerten Kur- und Verkehrsvereins selbst bei. Der Erfolg gab den Organisatoren recht. Obwohl ein Wochenende zuvor das appenzellische Kantonalturnfest am selben Ort stattgefunden hatte, fanden sich zum Trachtenfest rund 7000 Zuschauer ein. Davon ermutigt, organisierte der Kur- und Verkehrsverein auch 1910, 1920 und 1924 nochmals solche Feste.
Geschichte:
Die von Krisen geprägte Entwicklung der Wirtschaft zwischen den beiden Weltkriegen und das Erstarken totalitärer politischer Bewegungen (Faschismus, Kommunismus) verunsicherten die Schweizer Bevölkerung nachhaltig. In derselben Zeit konfrontierten die Vereinigten Staaten von Amerika das alte Europa mit einem ganz neuen, von Massenkonsum geprägten Lebensstil. Auf der Suche nach verlässlichen Leitbildern fand deshalb in der Schweiz ein merklicher gesellschaftlicher Wandel statt. Es entwickelte sich eine vielfältige, an Traditionen orientierte Heimatkultur, die von tiefer Skepsis gegenüber der Gegenwart geprägt war. Eine ihrer wichtigen Vertreterinnen war die Trachtenbewegung, welche ab Mitte der 1920er-Jahre im ganzen Land an Ausstrahlung gewann. 1926 wurde in Luzern die Schweizerische Trachtenvereinigung gegründet, die in der zweiten Hälfte der dreissiger Jahre eine der Trägerinnen der Geistigen Landesverteidigung wurde.
Da die Ausserrhoder Frauentracht schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwunden war, beauftragte der 1910 gegründete kantonale Heimatschutz den Herisauer Kunstmaler Paul Tanner (1882-1934) mit der Neuschöpfung. Die im Herbst 1925 präsentierten Kreationen vereinigten historische Elemente mit neuzeitlich-modischen Ansätzen. Im Denken Tanners tritt ein nationalistisches und antimodernistisches Weltbild zutage: "[Die Trachtenbewegung ist] eine typische Äusserung des gegenwärtigen Zeitgeistes …, ein bewusstes Zurückkommen auf die eigene Nationalität. … Sie … will eine Abwehr sein gegen die alles verflachende, gleichmachende Tagesmode und den immer mehr um sich greifenden Amerikanismus einerseits und gegen den jede Tradition zerstörenden Bolschewismus, der sich nicht nur auf politischem Gebiete auswirkt, andererseits." Paul Tanner gehörte 1926 zu den Gründern der nationalen Trachtenbewegung. Im selben Jahr kam es auf seine Initiative in Speicher zur Gründung einer Ausserrhodischen Trachtenvereinigung, der Tanner bis zu seinem Tod 1934 als Präsident vorstand. Die enge Verbindung zum Heimatschutz blieb bestehen, war für diesen doch stets ein Sitz im Vorstand der Trachtenvereinigung reserviert.
In Appenzell Innerrhoden fand die als neumodisch und fremdartig empfundene Trachtenbewegung zunächst keine starke Beachtung. Das Tragen der Tracht war hier immer noch selbstverständlicher Teil einer lebendigen Volkskultur. Weshalb es dazu eine von bürgerlichen Kreisen dominierte und von Künstlern vorangetriebene Bewegung brauchte, verstanden die Innerrhoder Trachtenleute nicht. Dr. Ernst Laur (1871-1964), Präsident des schweizerischen Bauernverbandes und Gründer der nationalen Trachtenvereinigung, kritisierte dieses Fernbleiben ausdrücklich. Tatsächlich wurde die Trachtenvereinigung Appenzell Innerrhoden erst am 17. Juni 1932 ins Leben gerufen. Ihr erster Obmann war Bezirksrichter Leo Linherr (1896-1976) von Appenzell. In ihrem Auftrag entwarf der einheimische Kunstmaler Carl August Liner (1871-1946) 1937 eine neue Innerrhoder Werktagstracht, welche die traditionelle Festtagstracht in sinnvoller Weise ergänzte. Auch Liner war eng mit dem Heimatschutz verbunden. 1914 bis 1924 fungierte er als Innerrhoder Vertreter im Vorstand der st.gallisch-innerrhodischen Heimatschutzvereinigung.
Ansätze zur Förderung der Trachtenbewegung hatte es im Innerrhodischen allerdings schon vor 1932 gegeben. Der Kur- und Verkehrsverein Appenzell, 1921-1943 unter dem Präsidium desselben Leo Linherr stehend, hatte mehrmals aufwändige Trachtenfeste organisiert, welche weit über das Appenzellerland hinaus Beachtung fanden und von Tausenden begeisterter Zuschauer besucht wurden. Solche Grossveranstaltungen fanden 1904, 1910, 1920 und 1924 statt und dienten nicht zuletzt der Propagierung des Innerrhoder Fremdenverkehrs. In der Folge trat der Kur- und Verkehrsverein in den ersten Jahren auch als Vertreter der Innerrhoder Trachtenleute gegenüber der Schweizerischen Trachtenvereinigung auf, was von Letzterer allerdings nicht gerne gesehen wurde. Die Trachtenvereinigung fürchtete eine Abwertung der Tracht durch die Verwendung als Tourismus-Werbeträger.
Autor: Stephan Heuscher, Appenzell
Literatur:
Volkskunde-Museum Stein AR. o.O. 1990, S. 2-9
Heimatschutz Appenzell AR (Hg.): Paul Tanner, der Schöpfer der neuen Ausserrhodertracht. Eine Gabe des Heimatschutzes Appenzell A.Rh., den Mitgliedern der ausserrhodischen Trachtenvereinigung zum pietätvollen Gedenken. Herisau 1935, S. 5-40
Tobler, Otto: Siebenundzwanzig Jahre Arbeit und Erfahrung im Dienste des Heimatschutzes Appenzell A.Rh. (1910-1937). Heiden 1938, S. 25-27
Appenzeller Volksfreund, Nr. 64/65, 10. und 13. Aug. 1904
Tags:
Appenzell, Brauchtum, Innerrhoden, Heimatschutz, Trachtenvereinigung, Carl August Liner, Trachtenfest
Ähnliche Themen:
Appenzell Innerrhoden Brauchtum Heimatschutz Trachtenvereinigung Carl August Liner Trachtenfest