Zeitzeugnisse

Drucken nächster Zufallsartikel


 

Text

Titel:

Schweizweit am ausländerfreundlichsten?

Thema: Politik

Ort: Wald    (Karte anzeigen)

Grössere Kartenansicht

Datum: 23.09.2011

Masse: 29,7 x 21 cm

Standort: Gemeindekanzlei Wald AR; Digitalisat Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden

Urheber/-in: Verein Second@s Plus

Beschreibung:

«In der Gemeinde wohnhafte ausländische Staatsangehörige erhalten das kommunale Stimm- und Wahlrecht, sofern sie seit zehn Jahren in der Schweiz und davon seit fünf Jahren im Kanton wohnen und dem Gemeinderat ein entsprechendes Begehren stellen.» Diese neue Bestimmung war 1999 in die Gemeindeordnung von Wald integriert worden. Zugrunde liegt ihr Art. 105 Abs. 2 der progressiven Kantonsverfassung von 1995.(1) Glückwünsche aus dem In- und Ausland und Berichte in Presse, Radio und Fernsehen überfluteten Wald als erste Deutschschweizer Gemeinde mit Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer.

Geschichte:

Die Wäldlerinnen und Wäldler begrüssten die Möglichkeit, ihr Kandidatenfeld für Ämter auch auf Staatsangehörige anderer Länder ausdehnen zu können. Ein Holländer wurde mit sehr gutem Resultat in den Gemeinderat gewählt. Wie anderswo auch war es schwieriger geworden, Personen zu finden, die freiwillig zur Mitwirkung im Gemeinderat und in gemeinderätlichen Kommissionen bereit sind. Das politische Leben von Gemeinschaften ist auf die aktive Mitwirkung möglichst vieler angewiesen; auch des ausländischen Bevölkerungsanteils, dessen Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung besonders in kleinen Gemeinschaften, in denen jede jeden kennt, häufig hoch ist.

Ausländer in Wald
Die Gemeinde Wald ist weder ausländerfreundlicher als andere noch unterscheidet sie sich strukturell von vergleichbaren Gemeinden in ländlichen Gebieten der Deutschschweiz. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein blieb sie eher eine Abwanderungs- denn eine Zuwanderungsgemeinde; seit 1890 sank die Bevölkerungszahl kontinuierlich. Mehrere Automatenstickereien und die metallverarbeitende Firma Walser & Co. AG brachten seit 1945 ausländische Mitarbeitende in die Dorfgemeinschaft: Österreicherinnen sowie Italiener und Jugoslawen. Infolge zeitgeschichtlicher Ereignisse kamen vereinzelt auch politische Flüchtlinge ins Dorf. 1982 liess sich eine Familie aus der Türkei in Wald nieder. Die instabile Situation auf dem Balkan trieb seit 1986 Familien aus Jugoslawien zu Verwandten, die bereits im Dorf lebten. 2011 zählte Wald unter der ständigen Wohnbevölkerung 33 Ausländerinnen und 35 Ausländer bei total 837 Einwohnerinnen und Einwohnern. Das sind 8,1 Prozent. Zum Vergleich: der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung an der Bevölkerung von Appenzell Ausserrhoden beträgt 14,5 Prozent, schweizweit sind es 22,8 Prozent und in der Stadt Zürich, die 2011 bei der Wahl zur ausländerfreundlichsten Gemeinde der Schweiz auf Platz 2 landete, sind es 30,1 Prozent. (2)

Nicht verfügt, sondern ermöglicht
Der in Protokollen überlieferte Prozess der Erarbeitung von Art. 105 Abs. 2 der Kantonsverfassung bietet interessante Einblicke in die politische Meinungsbildung während der Kommissionsarbeit und im Kantonsparlament. In der Verfassungskommission gab eine einzige Stimme den Ausschlag, dass die Aufnahme der generellen Gewährung des Stimmrechts in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten an ausländische Staatsangehörige zugunsten der Beschränkung auf die kommunale Ebene fallen gelassen wurde. Der dem Kantonsrat vorgelegte Vorschlag, wonach die Gemeinden Ausländerinnen und Ausländern, welche die erwähnten Bedingungen erfüllen und ein Begehren stellen, automatisch das kommunale Stimmrecht gewähren müssen, wurde im Rat mit Rücksicht auf die Gemeindeautonomie zu einer Kann-Formulierung abgeändert. Dass diese Lösung mehrheitsfähig war, zeigte sich in der klaren Annahme der totalrevidierten Kantonsverfassung an der Landsgemeinde 1995. Nach Wald haben auch die Gemeinden Speicher und Trogen den Artikel in ihre Gemeindeordnungen aufgenommen.

Autorin: Heidi Eisenhut, Trogen

Literatur:

Anmerkungen: (1) Gemeindeordnung Art. 6 und bGS 111.1 Art. 105 Abs. 2; (2) BfS, STAT-TAB.

Quellen: Appenzell Ausserrhoden. Gesetzessammlung bGS 111.1 Verfassung des Kantons Appenzell A.Rh. URL: www.bgs.ar.ch (16.12.2012); Bundesamt für Statistik BfS, STAT-TAB: Die interaktive Statistikdatenbank. URL: www.pxweb.bfs.admin.ch (16.12.2012); Gratulationen zur Einführung des Ausländer-Stimmrechtes. In: Wäldler Wanze Nr. 2 (27. Januar 2000), S. 4; Gemeinde Wald AR. Gemeindeordnung. URL: www.wald-ar.ch (16.12.2012); GWA, B.1–026 Gemeindereglement. Totalrevision 1998–2000; KBAR, KB-019429 Urkunde des Vereins Secondos Plus, 1. Preis Wald AR als ausländerfreundlichste Gemeinde der Schweiz, 23. September 2011 (Digitalfaksimile); StAAR, Ca.A5 Materialien zur Verfassungsrevision 1989-1995; StAAR, Mp.3–29 Dokumentation. Ausländerstimmrecht 1993–1995.

Literatur: Brändle, Rea (Text) und Reto Camenisch (Bilder): Vom Anschluss an die Welt und anderen Dingen. Dorfgeschichten aus Wald. In: NZZ (10./11. Februar 2001), S. 115–117; Egli, Jakob: Hinterwäldler? In der Gemeinde Wald reden alle mit! In: terra cognita 7 (2005), S. 34f.; Egli, Monika: «Etwas Gutes, das nichts kostet». In: AppZ (12. Dezember 2000), S. 53; Leibundgut, Yvonne (Text) und Margareta Sommer (Foto): Man darf das ja nicht laut sagen… In: WoZ (6. Januar 2000), S. 5; Schaffner, David: Die Gemeinde Wald im Appenzell ist weit voraus. In: Tages-Anzeiger (11. Februar 2004), S. 2; Verein Secondos Plus Schweiz. URL: www.secondos-plus.ch (16.12.2012).
 

Tags:

Politik, Migration, Wald, Bevölkerung, Plakat, Gleichstellung, Ausländerstimmrecht

Ähnliche Themen:

Politik Bevölkerung Plakat Wald Migration Ausländerstimmrecht Gleichstellung