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Titel:

Verhocken im Restaurant Schäfli

Thema: Leute

Ort: Wald    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1907

Masse: 47 x 45 cm

Standort: Privatbesitz Restaurant Schäfli, Wald; Digitalisat Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, KB-015127

Urheber/-in:

Beschreibung:

Die Besonderheiten einer Deckenstuckatur, die Maserung einer Holzoberfläche, jeder Farbtupfer auf Bildern – je nach Aufenthaltsdauer in einem Raum erschliessen sich der Betrachterin bisweilen unerwartete Details. Ein viel und lange und manchmal immer wieder betrachtetes Bild, ein künstlerisch bescheidenes Ölgemälde, befindet sich seit über 100 Jahren in der Gaststube des Restaurants Schäfli im Zentrum von Wald. Es zeigt die Gaststube selbst, ergänzt durch einen Schriftzug. Dieser mahnt vor der Polizeistunde, vor dem Verhocken.

Geschichte:

Der Schild zum Schäfli in Wald wird 1834 erstmals erwähnt. Das klassizistische Haus im Dorfkern war 1811 vermutlich als Fabrikantenhaus erbaut und 1878 östlich durch einen Stadel- und Remisenanbau mit Aufbau eines Saals ergänzt worden. (1) Die Terrasse vor dem Restaurant und der von Kastanienbäumen beschattete Garten auf der anderen Seite der Kantonsstrasse bildeten zur Blütezeit von Restaurant und Metzgerei Schäfli das Zentrum des Lebens im Luftkurort Wald. Im Saal wurde getanzt, Dorf- und Schülerfeste fanden statt, die mit Jugendstilelementen und -mobiliar ausgestattete und mit Malereien versehene Wirtsstube gehört bis heute zu den charakterstärksten und geschichtenträchtigsten des Kantons. Seit 1990 wird sie beseelt von Erika Ehrbar, einer Thurgauer Mode-Verkäuferin, die ihr Herz an ihre Gäste von nah und fern, jung und alt, verloren hat und es auch im Zeitalter des Internets fertigbringt, eine Beiz zu führen, in der es sich – ohne Küche und Erlebnisgastronomie – bei vielfältigen Gesprächen mit Menschen jeder Couleur verhocken lässt. (2)

Das Bild an der Wand
Das naive Ölgemälde über dem einzigen runden Wirtshaustisch gehört zum Schäfli wie die Wirtin. Es zeigt die Wirtshausstube im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. An der Stelle der Wanduhr tickt noch heute eine Wanduhr. Zwei Spieler haben sich neben einer Flasche Wein mit zwei Bechern und einer Schiefertafel vergessen. Eine Frau sitzt alleine mit verschränkten Armen und starrt vor sich hin. Am Kopf des Tischs schläft einer, ein Betrunkener wohl? Der Mann der Frau? Am zweiten Tisch, an dem schon aufgestuhlt worden ist, hockt ein Bärtiger, ein Einzelgänger, wie es scheint; eine Amts-, vielleicht auch eine Pfarrperson? Zwei Polizisten, einer mit Strafzettelblock, sind am Runden. Die Uhr zeigt Viertel nach Zwölf. Es ist eine Szene, wie sie 1999 in Appenzell Ausserrhoden noch hätte vorkommen können; nicht nur im Schäfli. Das Bussgeld fürs Verhocken belief sich auf einen Fünfliber. (3)

Die Polizeistunde
Nachdem die Polizeistunde im 19. Jahrhundert schon existiert hatte, tauchte sie im Strafgesetzbuch von 1878 nicht mehr auf. 1894 wurde sie wieder eingeführt. Fast jährlich hatte die Landsgemeinde von Appenzell Ausserrhoden in jenen Jahren über Fragen des ‹Wirtschaftswesens› zu befinden, so auch über das Tanzen an Sonntagen und über einen Beschluss, der die Wirtschaftsdichte begrenzen half: Gemeinden, in denen auf 150 Einwohner eine Gaststube kam, durften keine neue mehr eröffnen. Im ausgehenden Jahrhundert lag der kantonale Durchschnitt bei 90 Einwohnern pro Lokal. (4) Die Häufung der Fragen rund um das gesellige Verhocken ist im Kontext der Sittlichkeits- und Gesundheitsbewegungen zur Zeit der Jahrhundertwende zu lesen. Alkoholismus und Verwahrlosung waren mit den Wirtshäusern aufs Engste verbunden. Ab den 1890er Jahren wurden alkoholfreie Gaststätten eröffnet, von denen in Wald die «Alkoholfreie Wirtschaft Pension z. Brücke» zeugt. (5)

Autorin: Heidi Eisenhut, Trogen

Literatur:

Anmerkungen: (1) KdmAR III, S. 99; Gg Wald, S. 206 (Ersterwähnung als Wirtshaus); (2) Zu Erika Ehrbar siehe Etter, Lebensformen, S. 20f. (3) Seither gelten bGS 955.11 und bGS 955.111; (4) AG II, S. 543f.; (5) Abgebildet auf einer Postkarte von ca. 1935.

Quellen: bGS 955.11 Gesetz über das Gastgewerbe; bGS 955.111 Verordnung zum Gesetz vom 7. Februar 1999 über das Gastgewerbe (Gastgewerbeverordnung); KBAR, KB-003178 Postkarte «Gruss aus Wald. Kt. Appenzell», um 1902; KBAR, KB-010688 Postkarte «Wald. App. Pension z. Brücke», um 1935; KBAR, KB-010695 Postkarte «Gasthaus & Metzgerei Schäfli Wald (App.) 962 M.ü.M.», um 1945.

Literatur: Etter, Hans Jürg: Lebensformen in Ausserrhoden. In: Appenzeller Magazin 12 (2003), S. 10–21; Schläpfer, Walter: Appenzeller Geschichte, Bd. II. Appenzell Ausserrhoden von 1597 bis zur Gegenwart. Herisau 1972 [=AG II], bes. S. 542-544; Züst, Ernst: Wald. Die Geschichte der Gemeinde Wald. Herisau 1986 [=Gg Wald], bes. S. 204-208.

Transkription:

«Nacht’s um die 12.te Stunde | Macht leider die Wache die Runde, | Drum jeder wohl sich hüten mag, | Vor dem theuern Glockenschlag.»

Tags:

Polizei, Wald, Bevölkerung, Bildliche Darstellung, Gemälde, Gesetz, Lebensweise, Sittenwache

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