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Titel:

Nachtmahl-Büchlein zur religiösen Unterweisung

Thema: Leute

Ort: Herisau    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1731

Masse: 11,0 x 6,8 x 2,5 cm

Standort: Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, App 213

Urheber/-in: Alder, Johannes

Beschreibung:

Beim Nachtmahl-Büchlein handelt es sich um ein kleines und sorgfältig in Leder gebundenes Buch, in welchem auf verschiedene Fragen zur christlichen Glaubenslehre jeweils eine kurze unterweisende Antwort folgt. Das Büchlein ist vom Herisauer Schulmeister Johannes Alder verfasst worden und umfasst 162 Seiten. Nach eigenen Worten Alders war das Büchlein für die religiöse Unterweisung von Schulkindern und deren Eltern gedacht.

Die ersten 111 Seiten beinhalten Fragen und Antworten zum christlichen Glauben. Darauf folgt ein kurzer Text von Alder, in dem er schreibt, dass er angefragt wurde, ob er seinen Text auch der Öffentlichkeit zukommen lassen würde – unterstützt von der politischen und geistlichen Obrigkeit. Dann führt Alder die politischen und geistlichen Führungspersonen (nach Orten und Posten geordnet) auf, die zum Zeitpunkt der Druckbewilligung im Amt waren. Zum Dank für den Druck und die Unterstützung folgen am Ende des Büchleins Gebete.

Gemäss Walter Schläpfer ist das Nachtmahl-Büchlein ursprünglich im Jahr 1701 gedruckt worden. Der von Alder verfasste Text im Anhang des Büchleins scheint jedoch erst später geschrieben worden zu sein. Im Text heisst es nämlich (wie oben bereits erwähnt), dass Alder von der Landesobrigkeit unterstützt worden sei um sein Büchlein in Druck zu geben. Diese Unterstützung kam unter anderem von Landammann Johannes Gruber, der in den Worten Alders "von neuem erwehlt [ward ...] den 27. Aprilen/ zu einem Regierenden Land=Ammen". Gruber war zweimal Landammann: 1701-1702 und 1704-1706. Das lässt darauf schliessen, dass Alder seinen Text im Anhang wahrscheinlich erst 1704 oder gar noch später verfasst hat. Beim vorliegenden Druck aus dem Jahr 1731 handelt es sich wohl um einen Nachdruck respektive um eine Wiederauflage. Das Büchlein wurde in St. Gallen gedruckt, weil es zu dieser Zeit in Appenzell Ausserrhoden noch keine Druckerei gab.

Dass es sich um eine Unterweisung für reformierte Christen handelt, wird schon in der ersten Antwort auf die Frage nach dem Heiligen Abendmahl deutlich. Da heisst es: „DAs [sic!] heilig Nachtmahl ist / das andere Sacrament / des neuen Testaments“, womit gesagt wird, dass es nur zwei Sakramente gebe. Dies ist der Fall in der evangelisch-reformierten Kirche, die römisch-katholische kennt bis heute sieben Sakramente.

Geschichte:

An der Wende zum 18. Jahrhundert verbreitete sich der in Deutschland entstandene Pietismus auch in der Schweiz. Die Pietisten zielten auf eine „biblische Erneuerung des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens mittels der geistlichen Wiedergeburt des Individuums“ (HLS), indem sie sich als Laien in kleinen Kreisen intensiv dem Bibelstudium widmeten – zu Beginn aber nicht mit der Amtskirche brechen wollten. Die Privatunterhaltungen der Pietisten wurden anfangs noch als löblich betrachtet, solange sich keiner dieser Laien das kirchliche Lehramt anmasste.

Als der Heidler Pfarrer Lorenz Scheuss im Jahr 1710 eine zunehmend radikalere Form des Pietismus zu predigen begann (beispielsweise forderte er eine neue Art des Betens, bei der geschwitzt wurde, weil nur diese Gott genehm sei), wurden seine Reden und Praktiken von der Synode im Jahr 1711 für heterdox erklärt. Scheuss wurde aus der Versammlung ausgeschlossen. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen Schriften des sächsischen Perückenmachers Johann Tennhardt (1661-1720) verbreitet zu haben, welche aus Sicht der Synode ein „verworfenes, ärgerliches, ja lästerliches Buch“ (Schläpfer, S. 195) war. Scheuss musste daraufhin Heiden verlassen und ging ins Württembergische, wo er sich weiter mit dem Pietismus auseinandersetzte. 

1715 schliesslich musste sich auch Johannes Alder – der Verfasser des „Nachtmahl=Büchleins“, das selbst aber nicht mit dem Pietismus in Verbindung gebracht wird – vor dem Ratshaus neben dem Scharfrichter verantworten, weil er Schriften von Tennhardt gehandelt und verkauft hatte. Folgende Strafe(n) muss er entgegennehmen: Gefangenschaft, Ehrlosigkeit, 50 Pfund Busse, Wein- und Mostverbot im ganzen Land und vollständiges Verbot jeglichen Büchergrempels (Buchhandels).

Ab 1720 wurde die äusserst strenge Haltung der Obrigkeit gegenüber sämtlichen Anhängern des Pietistismus durch eine gemässigtere Einstellung der Synode abgeschwächt, weil offenbar ein paar Pietisten auf Basis von unzuverlässigen Hinweisen verurteilt worden waren. Versammlungen von Leuten, die sich einem Lehrer anschlossen, waren zwar weiterhin verboten, aber gegen die private Bibellektüre im kleinen Kreis konnte nichts eingewendet werden. Ab 1730 dann wurde der gemässigte Pietismus vollends geduldet, als der Trogner Pfarrer Jakob Zähner Dekan wurde. Zähner, der weitherum einen Ruf als frommer, ehrwürdiger Mann genoss, schaffte es, die pietistische Frömmigkeit und das kirchliche Lehramt in Einklang zu bringen, ohne dass jemals der Verdacht aufkam, er würde die Amtskirche in Frage stellen.

Autorin: Katharina Merian, Speicher

Literatur:

Dellsperger, Rudolf: Pietismus. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 19.10.2010. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11424.php (10.8.2011).

Schläpfer, Walter: Appenzeller Geschichte, Bd. II. Appenzell Ausserrhoden von 1597 bis zur Gegenwart. Herisau 1976, S. 193-197.

Tags:

Herisau, Religion, Kirche (evangelisch), Buch, Pietismus, Tennhardt Johann

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