Bild
Titel:
Lehr-Vertrag von Armin Fitze aus Bühler
Thema: Wirtschaft
Ort: Bühler (Karte anzeigen)
Grössere Kartenansicht
Datum: 05.04.1934
Masse: 29,5 x 21 cm
Standort: Vorbesitz Rudolf Steiner, Bühler; Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, App b 8220
Urheber/-in:
Beschreibung:
Das Dokument besteht aus einem in der Mitte gefalteten grossen A3-Blatt mit vier beschreibbaren Seiten. Es ist ein Zeugnis, ein Typoskript, welches mit handschriftlichen Einträgen versehen wurde. Das Dokument wurde drei Mal gefaltet – die Faltung ist dementsprechend gut ersichtlich. Auf der Vorderseite, der Seite 1, wird der Titel des Dokuments genannt: „Lehr-Vertrag vom Verband Schweiz. Schreinermeister und Möbelfabrikanten“. Während drei Seiten und unter 18 Paragraphen werden der Lehrling, sein Lehrmeister und Vormund erwähnt, die Lehrzeit, Verpflichtungen seitens des Lehrmeisters und seitens des Lehrlings aufgelistet; Bezahlung des Schulgeldes, Kost und Logis erklärt und der Lohn festgelegt. Paragraph 10 regelt die Versicherung, Paragraph 11 die Arbeitszeit. Unter den Paragraphen 12-17 sind allgemeine Bestimmungen aufgelistet, während unter dem letzten und 18. Paragraphen die Unterschriften des Lehrlings, des Lehrmeisters, der Vormundschaftsbehörde und des Vormunds stehen.
Der Lehrlingsvertrag (Lehr-Vertrag) gehörte dem Lehrling Armin Fitze von Bühler, geboren am 21. Juli 1917. Da Fitze im Waisenhaus in Gais aufwuchs, wurden seine Ausbildungskosten von der „Hilfsgesellschaft für Lehrlinge Bühler (App.)“ übernommen, die als sein Vormund fungierte. Die Vormundschaftsbehörde war das kantonale Lehrlingsamt App. A-Rh., welches den Vertrag am 25. Mai 1934 in Speicher genehmigte.
Als Lehrmeister wird der Schreinermeister U. Zürcher aus Herisau genannt. Er verpflichtete sich dazu, Armin Fitze für 3 ½ Jahre (vom 5. April 1934 bis zum 5. Oktober 1937) einzustellen und ihm einen Lehrlingslohn von Fr. 700.- in drei Raten je anfangs Juni 1934/35/36 zu bezahlen. Der Lehrmeister Zürcher war ausserdem für die Kost, Wohnung, Kleider und Wäsche seines Lehrlings verantwortlich. Im Gegenzug verpflichtete sich der Lehrling Armin Fitze zu einer Arbeitswoche von 50-60 Stunden und zu je sechs Tagen Ferien im ersten, zweiten und dritten Lehrjahr. Wie dem Dokument zu entnehmen ist, wurde von Armin Fitze vertraglich folgendes verlangt: „saubere Ordnung in Werkstatt und Zimmer, geschäftliche Verschwiegenheit.“ Ausserdem verpflichtete er sich dazu, jeden Tag um 21 Uhr zu Hause zu sein.
Das vorliegende Dokument wurde 1934 vervierfacht und am 15. Mai in Herisau und Bühler unterzeichnet. Je ein Exemplar erhielten der Lehrling Armin Fitze, der Lehrmeister U. Zürcher, die Vormundschaftsbehörde des Kanton Appenzell Ausserrhoden und die Hilfsgesellschaft für Lehrlinge Bühler (App.).
Geschichte:
Der „Lehr-Vertrag“ von Armin Fitze fällt in die Zeit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Am 26. Juni 1930 wurde das erste Bundesgesetz zur beruflichen Ausbildung verabschiedet. Aufgrund der Wirtschaftskrise konnte es aber erst auf den 1. Juni 1933 in Kraft gesetzt werden. Das Gesetz galt für die berufliche Bildung in Handel, Verkehr, Handwerk, Industrie, Gastgewerbe und Heimarbeit. Es forderte eine Mindestdauer der Berufslehre von einem Jahr und eine Überwachung durch kantonale Inspektoren und Zwischenprüfungen. Das Gesetz enthielt zudem Bestimmungen zum Schutz der Lehrlinge, wie z.B. bezüglich der Nachtarbeit und der Arbeitszeiten. Das erste Berufsbildungsgesetz sollte sich vom Gedanken leiten lassen „die Berufstüchtigkeit durch Förderung der beruflichen Ausbildung des Nachwuchses auf jede geeignete Weise zu heben“.
Damit die jungen Menschen jeglicher sozialer Herkunft die Möglichkeit hatten, von diesem neuen Gesetz Gebrauch zu machen, waren die privaten und freiwilligen Hilfsgesellschaften verpflichtet, für deren Unterhalt aufzukommen. Im Kanton Appenzell Innerrhoden wurde 1933 dazu festgehalten, dass die „Freiwillige Hilfsgesellschaft“, die sich auf dem Gebiet der Lehrlingsfürsorge und Berufsberatung erfolgreich betätigt hatte, jährlich 1500 Franken Staatsbeitrag erhalten solle. Im Kanton Appenzell Ausserrhoden wurde 1934 im Appenzellischen Jahrbuch erwähnt, dass die Lehrlingsfürsorgestelle von Jahr zu Jahr mehr beansprucht werde. 430 hilfesuchenden jungen Leuten konnte im Jahr 1934 eine Dienststelle vermittelt werden. 1935 hielten beide Halbkantone fest, dass sich die Lehrlingsfürsorge je länger je schwieriger gestalte und die ursprünglich von Privaten unternommene Hilfe zu einer eigentlichen kantonalen Jugendfürsorge ausgewachsen sei.
Autorin: Nina Sonderegger, Speicher
Literatur:
Appenzellische Gemeinnützige Gesellschaft (Hrsg.): Appenzellische Jahrbücher. Hefte 61-64, Herisau 1934.
Bruderer, Christian: Lehrlingsvater, Speicher, 1858-1942. In: Schweizerische Gewerbezeitung Nr. 25 (1942).
Rotach, Walter: Die Gemeinde. Ortsbeschreibung und Geschichte, Herisau 1929, S. 413-432, 556.
Tags:
Bevölkerung, Bühler, Schreiner, Erwerbstätigkeit, Vertrag
Ähnliche Themen: