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Titel:

Siegel für das Ausserrhoder Ehegericht

Thema: Politik

Ort: Appenzell Ausserrhoden    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1618

Masse: d = 4 cm

Standort: Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Siegelsammlung

Urheber/-in: Siegelstecher C. T.

Beschreibung:

Metallenes Petschaft mit eingraviertem Siegel. In der Mitte befindet sich das Appenzell Ausserrhoder Wappen, umrahmt wird es vom Text „S CONSISTORII IN EXTERIORE COMMUNITATE AP Z“ (Siegel des Konsistoriums in Appenzell Ausserrhoden). Auf der Rückseite sind die Jahreszahl „1618“ und die Buchstaben „C T“ eingraviert, welche den Zeitpunkt der Erstellung des Siegels und die Initialen des Siegelstechers wiedergeben.
Mit diesem Beitrag werden die Funktion und Bedeutung des Siegels erstmals neu interpretiert. Die Literatur ist nämlich bisher davon ausgegangen, dass es sich um das Ausserrhoder Synodalsiegel handle. Die Beschriftung und die Datierung lassen jedoch eher auf die Institution des Ehegerichts schliessen. Der Begriff Konsistorium ist die lateinische Bezeichnung für das Ehegericht, eine kirchlich-weltliche Institution, welche im Gefolge der Reformation gegründet wurde und sich mit Eheangelegenheiten befasste.
 

Geschichte:

Nach der Trennung des Landes Appenzells in die beiden Halbstände Appenzell Inner- und Ausserrhoden mussten die politische Obrigkeit neu formiert und die Gesetzesgrundlagen neu geschaffen werden. Die ältesten Handschriften eines Ausserrhoder Landbuches gehen auf 1600 zurück. Im gleichen Jahr wurde das Ausserrhoder Ehegerichts geschaffen, welches sich aus sechs Ratsherren und zwei Geistlichen zusammensetzte und eheliche Angelegenheiten, rund um Eheschliessung und Ehescheidung, behandelte. 1618 erhielt das Ehegericht nicht nur ein offizielles Siegel, sondern der damalige Dekan Johann Jakob Bygel erstellte auch eine neue Fassung der Ehegerichtssatzungen.
Die Ehe in der Frühen Neuzeit (1600-1800) darf man sich weniger als eine private Angelegenheit vorstellen, denn als eine öffentliche, an der die Gesellschaft, die Kirche und die Obrigkeit gleichermassen interessiert waren. Der Prozess der Eheanbahnung, der Eheschliessung und auch das eheliche Leben zweier Personen wurden von der Obrigkeit genau verfolgt und unterlagen strengen Regeln. Jede Übertretung der gesetzlichen Vorgaben wurde durch das Ehegericht geahndet. So wurden beispielsweise unverheiratete Männer und Frauen bestraft, welche sich zu oft zusammen aufhielten, gemeinsam ins Wirtshaus gingen oder gar sexuellen Kontakt hatten. Es wurde überprüft, ob zwischen einem Paar ein ordentliches Eheversprechen gegeben wurde und dieses auch innerhalb kurzer Zeit mit einer kirchlichen Hochzeit bestätigt wurde. Weiter behandelte das Ehegericht Scheidungsbegehren, wobei es jeweils zu prüfen hatte, ob die angegebenen Gründe für eine Scheidung ausreichten. Die Scheidung einer Ehe war zwar seit der Reformation möglich, doch galt in der Regel nur Ehebruch als legitimer Scheidungsgrund.
Vor 1600 wurden die Eheangelegenheiten der reformierten Appenzeller vor dem bischöflichen Gericht in Konstanz oder dem Zürcher Ehegericht behandelt. Spätestens mit den offiziellen Ehegerichtssatzungen als gesetzliche und dem Siegel als symbolische Grundlage wurde die Legitimität des Ausserrhoder Ehegerichts bestätigt. Genaueres zur Entstehung und zur Verwendung des Siegels kann jedoch nicht gesagt werden, da die Ehegerichtsprotokolle erst ab 1632 geführt wurden und die Synodalprotokolle aus dem Zeitraum 1614-1623 verloren gegangen sind, wie einer Notiz im Protokollband zu entnehmen ist: „Die Acta von Anno 1614 biß auff Annum 1623 sind von Herrn Decano Johann Jacob Bygel, als er ab einem Synodo von Trogen nach St. Gallen geritten, in einer Bulgen [=lederner Sack, den man als Behälter für Kleider und Wertsachen auf Reisen zu Pferd oder zu Fuss mit sich führte] verlohren worden, weliche man nit mehr können finden, oder zur hand bringen.“

Autorin: Kathrin Hoesli, Herisau

Chronologie:

1600 Entstehung des Ausserrhoder Ehegerichts

1618 Überarbeitung der Ehegerichtssatzungen

1618 Erstellung des Ehegerichts-Siegels

1655 Überarbeitung der Ehegerichtssatzungen

1877 Auflösung des Ehegerichts

Literatur:

StAAR, Q.01-001-02 Synodalprotokolle 1602-1634.

StAAR, Q.01-005-01 Ehegerichtssatzungen 1600-1655.

StAAR, Q.01-020 Verfassungen und Statuten der Synode 1612-1878.

Hoesli, Kathrin: „Vill bösse ungerathne ehen“. Strittige Eheversprechen und Scheidungsklagen vor dem Ehegericht von Appenzell Ausserrhoden 1632-1655, Lizentiatsarbeit, Basel 2008 (Manuskr.). 

Hubler, Lucienne: Sittengerichte. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom  07.03.2011. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D9622.php (07.07.2011).

Steinmann, Eugen: Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Ausserrhoden. Bd. 1 Der Bezirk Hinterland, Basel 1973, S. 9-15.

Tags:

Appenzell Ausserrhoden, Siegel, Ehegericht, Konsistorium, Ehe, Sittenzucht, Scheidung

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