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Gegorenes und Gewobenes aus der Schwendi

Thema: Land

Ort: Heiden    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1761

Standort: Schwendi 1, 9410 Heiden

Urheber/-in: Jakob Tobler, Bauherr

Beschreibung:

Weinbauernhaus im Weiler Schwendi in Heiden. Die aufgemalte Jahreszahl „1761“ und die Initialen „BM“ und „ID“ unterhalb des Giebels geben Auskunft über das Baujahr und den Baumeister (BM) Jakob Tobler (ID). Das imposante, weiss-rot gestreifte Kellerportal, die getäferte Fassade mit den Zierbrettern im späten Renaissancestil wie auch die aussergewöhnliche Höhe von fünfeinhalb Geschossen erinnert an ein Fabrikantenhaus. Hinter den drei längsrechteckigen Fenstern mit den Klappläden befand sich ausserdem ein Webkeller.

Geschichte:

Wie es für das Appenzeller Vorderland typisch ist, wurde auch das Weinbauernhaus in der Schwendi als vertikal geteiltes Doppelhaus mit Satteldach gebaut. Aus einer Volkszählung in Heiden geht hervor, dass 1842 zwei Familien das Haus in der Schwendi Nr. 1 bewohnten: In der einen Hälfte des Hauses wohnte der Bauer Jakob Niederer aus Lutzenberg mit seiner Frau Anna Barbara, die als Spulerin arbeitete. Deren drei Söhne waren allesamt Weber, die Tochter war als Plattstichstickerin tätig. Im anderen Hausteil wohnte der Württemberger Schuster Martin Herzinger mit Frau und Tochter.
In den tiefer gelegenen Gegenden des Appenzeller Vorderlandes war das milde Klima günstig für den Weinanbau. Urkunden belegen die Existenz von Weinreben bereits fürs Mittelalter: Die Bewohner der Gemeinde Kurzenberg, welche die heutigen Gemeinden Heiden, Wolfhalden und Lutzenberg umfasste, hatten nämlich einen beträchtlichen Anteil ihrer Abgaben an die Pfarrei Thal in Form von Wein zu leisten. Die Qualität des Vorderländer Rotweines wurde geschätzt. So schreibt beispielsweise der Chronist Gabriel Walser 1740: „Der Landwein an und vor sich selber, sonderlich der rothe ist delikat, gut lagerhaft und dem Magen, wenn er einige Jahre gelegen, vortrefflich gesund. Kommt dem Rheintaler in Preis und Güte fast gleich, hat eine dunkelrote Farbe und annehmlichen Goust“.
Wein und Most waren alltägliche Getränke, doch achtete die Obrigkeit streng darauf, dass der Weinkonsum der Bevölkerung „gemässigt“ blieb. In Form von Mandaten wurde in regelmässigen Abständen zu „sittlichem Verhalten“ ermahnt. Auch 1761, im Baujahr des Weinbauernhauses, gab das übermässige Trinken von Wein und Most der Obrigkeit Anlass zur Klage. Sie verurteilte, dass das „unmässige, recht viehische Sauffen und Schwelgen so sehr überhand nihmt“ und drohte mit Strafen insbesondere für Wirte und Weinschenken, die das übermässige Trinken fördern würden. Trotzdem stellte der Weinanbau neben der Milch- und Graswirtschaft einen wichtigen Wirtschaftszweig dar und wurde erst im späteren 19. Jahrhundert durch den zunehmenden Import von Weinen aus sonnenreicheren Gegenden verdrängt.
Immer mehr Bedeutung erlangte zudem das Textilgewerbe. Besonders im 18. Jahrhundert arbeiteten viele Bauernfamilien zusätzlich im Webkeller und stellten in Heimarbeit Baumwollstoffe her. Das Weinbauernhaus in der Schwendi in Heiden ist sozusagen ein Abbild zweier Wirtschaftsbereiche: Zum einen widerspiegelt der auffallende Eingang zum Weinkeller die Bedeutung des Rebbaus, zum anderen betont der Webkeller die Heimwebertätigkeit in Appenzell Ausserrhoden.

Autorin: Kathrin Hoesli, Herisau

Literatur:

StAAR, Aa. 40-07-01 Mandate gegen Sittenlosigkeit 1713-1778.

Festschrift zum 300jährigen Bestehen der Gemeinde Heiden 1652-1952, Heiden 1952, S. 97-100.

Steinmann Eugen: Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Bd. 3. Der Bezirks Vorderland. Basel 1981, S. 204-206.

Walser, Gabriel: Neue Appenzeller Chronick oder Beschreibung des Cantons Appenzell der Innern- und Aussern-Rooden vorstellende so wohl des Lands natürliche Beschaffenheit, der Einwohnern Ursprung, Sitten, Gewerbe und einem Anhang der vornehmsten Instrumenten, Diplomatum, Bündnissen, Friedensschlüssen etc., Teil I und II. St. Gallen 1740.

Tags:

Heiden, Architektur, Heimarbeit, Gebäude, Weinanbau, Textilgewerbe, Kurzenberg, Schwendi

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