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Titel:

Bruder Walbert: der letzte Schneider von Kapuzinerkutten

Thema: Leute

Ort: Appenzell    (Karte anzeigen)

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Datum: 18.01.2011

Masse: 13 x 18 cm

Standort: Archiv Kapuzinerkloster Appenzell

Urheber/-in: Marc Hutter, Fotograf, Appenzell

Beschreibung:

Br. Walbert Boschung, Kapuzinerbruder, lebte und arbeitete bis im Sommer 2011 in der Pförtnerstube des Kapuzinerklosters Appenzell. Auf dem Foto näht er an einem speziell langen Tisch mit einer über 50-jährigen Nähmaschine eine Kapuze in eine Mönchskutte ein. Dieses Handwerk hatte Br. Walbert vor über 50 Jahren von Br. Aldo Utz gelernt, dem damaligen "Schneidermeister" für Kapuzinerkutten in Luzern. Br. Walbert kannte die Schnittmuster auswendig, denn trotz aller Modetrends hatte sich der Schnitt der Kutten nie verändert.

Geschichte:

Br. Walbert wurde 1938 im freiburgischen Wünnewil in eine Bauernfamilie geboren und wuchs zusammen mit acht Geschwistern auf. Nach der obligaten Schulzeit arbeitete er während drei Jahren bei Bauern und hatte das Glück, wie er sagt, immer von guten Meistern angestellt worden zu sein. Schon früh beschäftigte er sich mit dem Gedanken, in ein Kloster einzutreten. Dabei fühlte er sich von den Kapuzinern besonders angezogen, vor allem weil er diese als Aushilfs-Pater in seiner Pfarrei kannte und weil zu seiner Zeit drei junge Männer aus seiner Wohngemeinde in den Kapuzinerorden eingetreten waren. 19-jährig klopfte er im Kapuzinerkloster Luzern an und verbrachte hier und in Stans seine Kandidatur- und Noviziatszeit. Es folgten drei Jahre im Kloster Arth-Goldau und ein Jahr in Solothurn, bis er die ewigen Gelübde ablegte. In dieser Zeit erlernte er die verschiedensten "Berufe", wie sie für die Klosterbrüder bezeichnend sind: Koch, Gärtner, Sakristan, Raumpfleger, Pförtner und – in seinem Fall – Schneider. Die nächste Station war Näfels, wo er als typischer Allrounder sich im Kloster zehn Jahre lang betätigte und für seine Mitbrüder die Kutten nähte.

Ab 1973 lebte Br. Walbert im Kloster Appenzell. Nebst den üblichen Aufgaben, die das Pförtneramt mit sich brachte, amtete er hier wiederum als Schneider. Die personellen Engpässe und die Überalterung vieler Kapuziner führten aber dazu, dass ein Kloster nach dem anderen seinen Schneiderbruder "verlor". In diese Lücke sprang Br. Walbert, der bald einer der einzigen Kuttenschneider in der deutschschweizerischen Kapuzinerprovinz war. Nur noch das Kloster Brig verfügte über einen eigenen, über 90-jährigen Klosterschneider.

Ein Klostermann verfügt gewöhnlich über drei Kutten, die etwa zehn Jahre lang benutzbar sind. Br. Walbert hatte mit grosser Akribie alle erforderlichen Angaben zu seinen Mitbrüdern in einem "Massbuch" festgehalten: Kopf- und Schulterbreite, Rücken-, Vorder- und Ärmellänge. Dabei misst der Kuttenschneider nur den rechen Arm, da dieser "wegen des Mappen-Tragens" etwas länger sein dürfte. Und der Rückenteil  ist – wegen des Gesässes - 10 cm länger als der Vorderteil. Der Bauchumfang spielt eine untergeordnete Rolle, weil in diesem Fall der Strick ausgleichend wirkt. Dieser ist je nach Grösse 4,5 oder 5 m lang und wird doppelt geschnürt und ist mit drei Knöpfen – symbolhaft für die drei klösterlichen Tugenden Gehorsam, Armut und Keuschheit – versehen. Spezialwünsche sind einzig bei den "Säcken" möglich: unter der Brusttasche – gleichsam als "Geheimfächli" - drei kleine "Täschli", u.a. das "Kullitäschli" (Kugelschreiber), ferner zwei Ärmeltäschli (vom inneren Ellbogen aus) und zwei Eingriffe mit zusätzlichem Schlitz auf Handhöhe, um die Hosensäcke zu benutzen.

Die Kapuzinerkutte ist ein praktisches Kleid ohne Knöpfe und ohne Reissverschluss. Sie wird über den Kopf an- und ausgezogen, denn die entsprechende Öffnung richtet sich nach dem Kopfumfang.  Die Kapuze diente nicht nur für die  Namensgebung der Ordensleute ("Kapuziner"), sondern sollte auch benutzbar sein. Obwohl sich die Kutte während Jahrhunderten als moderesistent erwiese hatte, war eine Änderung unumgänglich: Seit Jahren wird nicht mehr der schwere braune Wollstoff verwendet, der bis in die 1960er-Jahre in der klostereigenen Weberei von Rapperswil hergestellt worden ist, sondern ein praktischer Trevira-Stoff. Und auch die Stricke werden heute industriell angefertigt und sind nicht mehr "hausgemacht" wie vor einem halben Jahrhundert.

Br. Walbert verfertigte jährlich etwa zehn Kutten und benötigte für jedes Ordenskleid zwei bis drei Tage. Die Nachfrage hat leicht abgenommen, weil viele Kapuziner die Kutte nur noch im Kloster und beim Gottesdienst tragen und nicht mehr wie bis in die 1970er-Jahre auch als Alltagskleid benutzen. Den Mitbrüdern entstehen bei der Anschaffung des Ordensrocks keine Kosten. Die Ordensprovinz kommt für die Materialausgaben auf und verrechnet Ausgaben und Einnahmen eines jeden Klosters pauschal.
 
Bei seiner Arbeit empfand Br. Walbert auch nach 50 Jahren noch Freude. Im Sommer 2011 musste er jedoch in ein anderes Kloster übersiedeln, weil das Kapuzinerkloster Appenzell nach 424 Jahren aufgehoben wurde. Nachdenklich stimmte Br. Walbert seine Nachfolge. Es sei niemand da, der das Schneiderhandwerk erlernen wolle. Trotzdem gab er die Hoffnung nicht ganz auf: "Vielleicht kommt noch einer".

Autor: Josef Küng, Appenzell
 

Literatur:

Beck, Alfons / Grosser, Hermann (Hrsg.): 400 Jahre Kapuzinerkloster Appenzell. Appenzell 1987

Schweizer, Christian: Kapuziner. In: HLS. Version 14.10.2009. URL:  http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D11708.php (31.01.2013)

Tags:

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