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Titel:
Der österreichische Exkaiser Karl I. zu Besuch im Kollegium Appenzell
Thema: Leute
Ort: Appenzell (Karte anzeigen)
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Datum: 12.05.1919
Masse: 22,5 x 29,5 cm
Standort: Archiv Gymnasium Appenzell, Fotos, Schachtel 98
Urheber/-in: Fotograf J. Müller, Appenzell
Beschreibung:
Kaiser Karl I., Exkaiser von Österreich und Exkönig von Ungarn, und Kaiserin Zita sowie Kronprinz Otto besuchten am 12. Mai 1919 das Kollegium St. Antonius in Appenzell. Im Exil weilten sie damals vorübergehend auf dem Rorschacherberg im Schloss Wartegg. Kaiser Karl I. und Kronprinz Otto wurden an demselben Tag in die Marianische Sodaliät des Kollegiums aufgenommen. Auf dem Bild sind im Innenhof-Portal des Kollegiums ersichtlich (v.l.n.r.): Pfarrer Bonifaz Räss, Provinzial P. Benno Durrer, Page Walter Kessler, Kaiserin Zita, Kaiser Karl I., Page Jakob Neff, Hofmarschall Ledochowski, Pfarrer Andreas Breitenmoser, Rektor P. Getulius Bopp. Rechts und links Kollegi-Schüler.
Geschichte:
Nach dem Tode des Kaisers Franz Joseph I. im Jahre 1916 wurde dessen Grossneffe Karl (1887-1922) Nachfolger. Er bestieg während des Ersten Weltkrieges am 21. November 1916 den Thron und war Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen. Trotz seiner Bemühungen konnte er die Friedensziele nicht realisieren und musste angesichts des militärischen Zusammenbruchs und der inneren Auflösung der Donaumonarchie am 11. November 1918 als Kaiser von Österreich und zwei Tage später als König von Ungarn abdanken.
Vom November 1918 bis März 1919 weilte Karl mit seiner Familie im Exil auf dem niederösterreichischen Schloss Eckartsau. Ende März 1919 begab er sich auf das Schloss Wartegg. Dieser Schlosssitz gehörte seit 1860 der Herzogin Louise von Bourbon-Parma, deren Enkelin Kaiserin Zita war. Nach vorübergehendem Exilaufenthalt in Prangins am Genfersee versuchte Karl erfolglos in Ungarn die Herrschaftsrechte geltend zu machen. Dann setzte er seine „Odyssee“ fort, hielt sich vorübergehend im Schlosshotel Hertenstein in Weggis auf und traf im November 1921 auf der Insel Madeira ein, wo er am 1. April 1922 an einer Lungenentzündung 35-jährig verstarb.
Bald nach der Eröffnung des Kollegiums war im Jahre 1909 die Marianische Sodalität gegründet worden. Es handelte sich um eine religiöse Vereinigung, die die damals im katholischen Raum übliche Marienverehrung pflegte und sich durch eine grosse gemeinschaftliche Verbundenheit auszeichnete. Praktisch alle Schüler traten dieser ausserschulischen Organisation bei und befassten sich in regelmässigen Versammlungen mit religiösen Fragen wie auch mit aktuellen Zeitproblemen. Im Mittelpunkt standen spezielle Gebetsübungen und Gottesdienste.
Die Sodalität war wenige Jahre nach der Gründung zu einem integrierenden Bestandteil des religiösen Lebens des Kollegiums geworden. Auch viele ehemalige Mitglieder pflegten einen regen Kontakt zur Organisation und schickten als Zeichen der Verbundenheit am Maria-Hochfest der Sodalität, das jeweils am 8. Dezember stattfand, die Weiheformel ein. Im Jahre 1937 waren es von mehr als 1500 ehemaligen „Sodalen“ über 1400, die sich dieser Tradition verpflichtet fühlten.
Der hohe Besuch aus dem ehemaligen österreichischen Kaiserhaus am 12. Mai 1919 war für die Sodalität ein „denkwürdiger Ehrentag“. Dazu vermerkt P. Luzius Ludin, der damalige Präses (Vorsteher) der Sodalität: „Deshalb benutzten wir die Gelegenheit, seine Majestät zu bitten, seinen erlauchten Namen und den Namen des Kronprinzen in unser Kongregationsalbum einzutragen. Gerne war der Kaiser dazu bereit und unterschrieb auf dem dargebotenen Diplom eigenhändig die Weiheformel: ‚Ich Karl, Kaiser von Österreich, König von Ungarn, gelobe und verspreche…‘; ebenso für den Kronprinzen: ‚Ich Franz Josef Otto, Kronprinz von Österreich-Ungarn, gelobe und verspreche…‘ Der Eintritt von Kaiser Karl und dem Kronprinzen als Ehrenmitglieder in unsere Sodalität bedeutet nicht bloss eine Spende ihrer fürstlichen Namen und eine huldvolle Zeremonie. Aus sicherer Quelle haben wir gehört, dass Kaiser Karl jeden Tag in der Schlosskapelle kniend mit der Kaiserin Zita den Rosenkranz betet. Mit der Liebe zu Maria beseelt den neunjährigen Kronprinzen eine innige Liebe zum eucharistischen Heiland.“
Weiter vermerkt der Chronist, dass die Beitrittserklärungen eingerahmt im Sprech- und im Klassenzimmer der vierten Gymnasialklasse aufgehängt worden seien. Denn während des hohen Besuchs habe dieses Schulzimmer als „kaiserlicher Speisesaal“ gedient. Zu erwähnen ist, dass Kaiserin Zita damals als Frau nicht in die Sodalität aufgenommen werden konnte. Bekanntlich verbrachte sie später ihre letzten Lebensjahre in der Schweiz, und zwar von 1962 bis 1983 im bündnerischen St. Johannes-Stift in Zizers, wo sie 92-jährig verstarb.
Die marianische Sodalität besteht - in wesentlich kleinerem Rahmen - heute noch im Gymnasium Appenzell. Sie ist nicht mehr „ein Kampftrupp für die Mutter Gottes“, sondern trug als älteste ausserschulische Organisation des Gymnasiums den einschneidenden Veränderungen im religiösen und gesellschaftlichen Bereich Rechnung und verfolgt heute wichtige gemeinschschafts- und wertfördernde Ziele. Nebenbei sei vermerkt, dass heute noch über 100 Jahre nach der Gründung der Sodalität alljährlich gegen 400 ehemalige Sodi-Mitglieder die Weiheformel einsenden.
Autor: Josef Küng, Appenzell
Literatur:
Archiv Gymnasium St. Antonius, Appenzell, Religiöses Leben (Nr. 71-74), Marianische Sodalität – Protokolle (Nr. 72), Verzeichnis aller Sodalen
Küng, Josef: Die Marianische Sodalität – die älteste ausserschulische Organisation am Kollegium. In: Antonius. Zeitschrift Gymnasium St. Antonius, Nr. 290, Dezember 2006, S. 9-18
Bosshart, Ruedi. Küng, Josef (Hg.): Bekenntnis und Treue. Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum der Marianischen Sodalität am Gymnasium Appenzell, Appenzell 2009
Zirkular der Marianischen Sodalität, Appenzell 1910-1922 (Bd. 1), 1922-1933 (Bd. 2)
Tags:
Politik, Appenzell Innerrhoden, Fotografie, Krieg, Leute, Appenzell, Bilddokument, Bildung, Mittelschule, Diplomatie, Kirche (römisch-katholisch), Kollegium, Kollegi, Kloster, Gymnasium, Kaiser Karl I., Österreich-Ungarn, 1. Weltkrieg
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