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Titel:
Harte Arbeit in der Appreturfabrik
Thema: Leute
Ort: Herisau (Karte anzeigen)
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Datum: 30.08.1955
Masse: 10,5 x 14,7 cm
Standort: Vorbesitz Pia Ackermann, Herisau; Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Pa.169
Urheber/-in: Einwohnerkontrolle Herisau
Beschreibung:
Schweizer Identitätskarte, ausgestellt von der Einwohnerkontrolle Herisau für den pensionierten, ehemaligen Appreturarbeiter Ulrich Alder von Herisau. Schwarzweissfotographie mit Bostich in der linken unteren Ecke befestigt, mit Stempel und Unterschrift der Einwohnerkontrolle Herisau versehen. Auf der Rückseite aufgeklebte Taxmarke der Gemeinde Herisau im Wert von 1 Franken.
Geschichte:
Ulrich Alder (1875-1966) musste bereits als Schuljunge neben der Halbtagesschule für Herisauer Stickereifirmen arbeiten, um seine Familie, welche vom unregelmässigen Tagelöhnerverdienst des Vaters lebte, mit einigen Franken zu unterstützen. Nach der obligatorischen Schulzeit stieg er mit 14 Jahren sogleich in die Fabrikarbeit ein, denn für eine Berufslehre fehlten seinen Eltern die finanziellen Mittel. Den grössten Teil seines Lebens war Ulrich Alder als Appreturarbeiter tätig. Im 19. Jahrhundert war Herisau zu einem Zentrum der Textilveredelung geworden. Von 1830 bis 1914 entstand entlang von Sägebach und Glatt eine Vielzahl von Veredlungsunternehmen. Eines davon, mit Bleicherei, Färberei und Appretur gründete Gottfried Hauser (1833-1904) 1866 unterhalb der Bahnstation Wilen. Die Fabrik machte sich vor allem im Färben von Tüllstickereien und Stickgarnen einen Namen und beschäftigte 1887 rund 180 Personen. Nach dem Tod des Inhabers nannte sich die Firma zunächst Hauser & Co. (1904-1906), dann Häberlin-Hauser & Co. (1906-1918). Schliesslich wurde sie von Jean Tanner AG weitergeführt und 1926 infolge der Stickereikrise liquidiert.
In seinem Lebenslauf beschreibt Ulrich Alder seinen Arbeitsalltag in der Fabrik Hauser als hart und eintönig, wobei ihm die Rekrutenschule und Wiederholungskurse sowie das Musizieren die einzige Abwechslung boten. Das Einkommen als Appreturarbeiter war knapp und seiner Familie gelang es nur „durch strenge Sparsamkeit & durch Verzicht auf manches Vergnügen“, der Armut zu entrinnen. Als typischer Vertreter der sozialen Unterschicht wünschte er sich für seine eigenen zwei Kinder: „Unsere Kinder müssen es einmal besser haben, das h. durch vermehrte Schulbildung & eine Berufslehre ihren Platz im Leben ausfüllen können.“
Autorin: Kathrin Hoesli, Herisau
Literatur:
Geschichte der Gemeinde Herisau. Herisau 1999, S. 215-221.
StAAR, Pa.169 Nachlass Familie Alder-Kreis, Herisau.
StAAR, ZFR-02-B08-107 Familienregister Herisau.
Zusatztexte:
Lebenslauf von Ulrich Alder, verfasst nach 1937.
„Mein Lebenslauf.
Am 28 August 1875 wurde ich in Bühler als 2tes Kind der Eheleute Ulrich & Lisette Alder-Henauer geboren. Der ein Jahr vorher geborene Bruder kam tot zur Welt. Meine ersten Kindheitserinnerungen reichen zurück in die Zeit, da wir in Teufen wohnten. 1881 gesellte sich zu mir noch ein Schwesterchen, das aber im zarten Alter von 4 Jahren durch eine Hirnentzündung dahingerafft wurde. In Teufen ging ich die ersten 2 Monate in die Schule, dann verlegten die Eltern ihren Wohnsitz nach Herisau, woselbst ich die ganze Schulzeit, meine Jünglings & Mannesjahre verlebte. 1884 kam nochmals ein Schwesterlein zur Welt. Da der Verdienst des Vaters, eines Taglöhners, sehr unregelmässig war, war es für die Mutter eine Hülfe, als ich neben der Halbtagschule einige Franken an den Unterhalt beitragen konnte. Die Stickerei ging damals gut, so konnte in der schulfreien Zeit für Kinder immer Beschäftigung gefunden werden. Nach Erreichung des 14 Jahres begann die Fabrikarbeit, zuerst in der Lithographie, später in der Appretur. Es war mir leider nicht vergönnt einen Beruf erlernen zu dürfen; weil die Mittel fehlten. Etwelche Abwechslung in die oft so eintönige Fabrikarbeit boten die Rekrutenschule & die Wiederholungskurse. Viel Genuss & Freude bot mir auch die Musik, der ich 15 Jahre aktiv angehörte.
Am 1 Mai 1902 trat ich mit Anna Kreis v. Egnach den Bund für’s Leben an. Dank ihrer hausfraulichen Tüchtigkeit & dem beidseitigen ernsten Willen, gelang es uns im Lauf der Jahre, das Gespenst der drückenden Armut, das wir Beide im Elternhaus so oft vor Augen hatten, zu bannen. Das war aber nur möglich durch strenge Sparsamkeit & durch Verzicht auf manches Vergnügen.
Unsere Freude war gross, als uns nach 5 jähriger Ehe ein Mädchen geboren wurde & 14 Monate später ein Knabe. Wir gelobten uns, wie es wohl viele Eltern tun: Unsere Kinder müssen es einmal besser haben, das h. durch vermehrte Schulbildung & eine Berufslehre ihren Platz im Leben ausfüllen können.
Dies ist uns, soweit es an uns lag, Gott sei Dank gelungen. Dann aber, als wir glaubten, unsere Pflicht gegenüber den Kindern getan & ihnen die Waffen zum Kampf um’s Dasein verschafft zu haben, um nun für unsere alten Tage auch noch etwas verschnaufen zu können, befiel gegen Ende 1927 meine bisher gesunde, rastlos tätige treue Lebensgefährtin eine äusserst schmerzhafte, durch keinerlei Mittel mehr zu heilende Krankheit, die Gelenkgicht, die sie während 9 Jahren ans Haus & die letzten 2 Lebensjahre an’s Bett fesselte. Am 10. Jan. 1937 trat der Tod als Erlöser an ihr Schmerzenslagen.“
Aus: StAAR, Pa.169 Nachlass Familie Alder-Kreis, Herisau.
Tags:
Herisau, Industrie, Erwerbstätigkeit, Arbeiter, Appretur, Textilveredelung, Wilen, Fabrikarbeit
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