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Titel:

Wildkirchlein im Canton Appenzell

Thema: Land

Ort: Schwende    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1785

Masse: 20,2 x 23,6 cm

Standort: Kantonsbibliothek Appenzell Innerrhoden A 1786.1

Urheber/-in: Hartmann, Georg Leonhard

Beschreibung:

Älteste datierte Darstellung des Wildkirchli. Illuminierte Kupferradierung des St. Galler Malers und Kupferstechers Georg Leonhard Hartmann (1764-1828). Links unten die Signatur des Künstlers: "Wildkirchlein im Canton Appenzell G.L. Hartmann ad nat. del. fecit anno 1785". Die perspektivische Ansicht erschien als Beilage zur Schrift "Bemerkungen von dem Wildkirchlein oder St. Michaels Kapell und Ebenalp in dem Canton Appenzell bey Reutiner jünger 1786 St. Gallen". Verfasser des Textes war der St. Galler Dr. med. Bernhard Wartmann (1739-1815). Die 46-seitige Broschüre erweckt weniger den Eindruck einer wissenschaftlichen Beschreibung, sondern scheint eine Art früher Reiseführer zu sein. In enthusiastischer Sprache schildert Wartmann die Schönheit der Landschaft und weist speziell auf die bereitwillige Bewirtung hin, die Gäste allethalben erfahren dürften. Hartmanns idealisierend-romantische Zeichnung passt bestens dazu. Sie zeigt den bekannten, Furcht erregenden Holzsteg, damals bereits mit einem Geländer versehen. Daneben die Kirchlihöhle mit dem länglichen Sakristeibau, der 1860 durch ein Glockentürmchen mit quadratischem Grundriss ersetzt wurde. Rechts das Eremitenhaus, das ebenfalls 1860 einem Gasthaus zu weichen hatte.

Erklärtes Nebenziel des Autors Bernhard Wartmann stellte die Förderung des jungen St. Galler Malers und Kupferstechers Georg Leonhard Hartmann dar. Der Sohn des Malers und Radierers Daniel Hartmann hatte sein Theologiestudium abgebrochen und liess sich von 1785 an in Deutschland zum Maler ausbilden. Die Radierung dürfte also eines der ganzen frühen Werke des Künstlers sein. Nach seiner Rückkehr nach St. Gallen 1789 tat er sich als scharfzüngiger historischer und naturwissenschaftlicher Publizist radikaldemokratischer Prägung hervor. 1798 gab er das prohelvetische "Wochenblatt für den Canton Säntis" heraus und amtierte ab 1803 als Sekretär im Departement des Innern des neu geschaffenen Kantons St. Gallen.

Geschichte:

Das Wildkirchli übt seit der Aufklärung grosse Faszination auf die Menschen aus. Naturforscher, Dichter, Maler und Touristen fühlten sich gleichermassen von dem magischen Ort angezogen. Neben der Radierung Hartmanns sind aus den Jahren 1786-1871 über achtzig unterschiedliche Stichmotive und Gemälde nachgewiesen. Zu den bekanntesten zählen die 1830 erschienenen "Ansichten aus dem Appenzeller Gebirge" von Johann Baptist Isenring (1796-1860). Auch der populäre Zürcher Historienmaler Ludwig Vogel (1788-1879) weilte mehrere Male in Appenzell und befasst sich in seinen Werken mit dem Leben auf dem Wildkirchli. Als eine der eindrücklichsten Darstellungen gilt das Wildkirchli in Gouache (Deckfarbenmalerei) des ebenfalls aus Zürich stammenden Konrad Korradi (1813-1878). Die Bilder dieser Künstler wurden oft als Stiche oder Lithografien mit den damaligen Reproduktionstechniken vervielfältigt und als Reisesouvenirs verkauft.

Unter den Schriftstellern ist der grosse schlesische Reiseschriftsteller und Entdecker der Alpen Johann Gottfried Ebel (1764-1830) zu nennen. Sein unvollendetes Werk "Die Schilderung der Gebirgsvölker der Schweiz" von 1798 konzentriert sich auf die Ostschweiz und besonders das Appenzellerland. Das Wildkirchli fand bei Ebel grosse Beachtung. Seine Beschreibung des Aufstiegs zur Höhle hört sich heute noch spannend und reizvoll an. Der Appenzeller Arzt Johann Nepomuk Hautle (1765-1826) war hingegen gleichsam der grosse einheimische Sänger des Wildkirchli. Während des Studiums in Zürich war er mit dem literarischen Kreis um den Volksschriftsteller Hans Caspar Hirzel in Kontakt gekommen. Zurückgekehrt nach Appenzell drückte er seine Bewunderung für Natur und Gebirgswelt in anmutigen Gedichten aus, namentlich im 1817 publizierten Bändchen "Das Wildkirchlein und die Ebenalp in Appenzell, auf Verlangen und zum besten der Armen zum Druck befördert". Eine 1902 angebrachte Gedenktafel an der Felswand beim Äscher erinnert an den deutschen Dichter der Romantik Josef Victor von Scheffel (1826-1886). Er weilte 1854 eine Woche lang im Wildkirchli und im Gasthaus Äscher. Danach wählte er die Einsiedelei als Schauplatz seines 1855 veröffentlichten historischen Romans "Ekkehard", der das Leben des 990 verstorbenen St. Galler Mönchs behandelt. Das Buch feierte mit nicht weniger als 239 Auflagen einen ungeheuren Erfolg und machte Scheffel zu einem der populärsten Schriftsteller seiner Zeit im deutschsprachigen Raum.

Unter den Wissenschaftern, die sich vom Wildkirchli angezogen fühlten, ist vor allem der Archäologe Emil Bächler (1868-1950) zu nennen. Basierend auf Forschungen des St. Galler Geografen und Geologen Johann Jakob Egli (1825-1896) führte Bächler in den Jahren 1903 bis 1908 im Wildkirchli Grabungen durch. Seine Ergebnisse publizierte er in zwei Werken 1936 und 1940. Darin zeigte er Zusammenhänge zwischen den Funden im Wildkirchli, im Drachenloch (Taminatal) und im Wildmannlisloch (Churfirsten) auf. Die bekannten Schulwandbilder vom Wildkirchli mit fellbekleideten Urmenschen haben das Geschichtsbild von Generationen von Primarschulkindern geprägt. Weitere 1958/1959 durchgeführte Grabungen unter Leitung der Basler Archäologin Elisabeth Schmid bewiesen allerdings, dass die Bächler´sche These einer steinzeitlichen Besiedlung der Höhlen falsch war. Das Wildkirchli wurde von den Urmenschen wohl nur als vorübergehender Unterschlupf auf Jagdzügen benutzt. Überdies entstammten die zahlreichen Knochen von Höhlenbären anderen Kulturschichten. Die Tiere waren also vermutlich während der Winterruhe eines natürlichen Todes gestorben und nicht, wie Bächler vermutet hatte, von Menschenhand erlegt worden. Bevorzugte Beute der steinzeitlichen Jäger bildeten eher Steinbock, Gemse und Hirsch.

Autor: Stephan Heuscher, Appenzell

Literatur:

Bächler, Emil: Aus der Geschichte des Wildkirchli. St. Gallen 1930

Bächler, Emil: Das Wildkirchli. Eine Monographie. St. Gallen 1936

Bischofberger, Hermann: Das Wildkirchli. Seine Stiftung und seine Beziehung zu den Kapuzinern. Appenzell um 1980 [Typoskript]

Fischer, Rainald u.a.: Ebenalp-Wildkirchli. Jubiläumsschrift zum zwanzigjährigen Bestehen der Luftseilbahn Wasserauen-Ebenalp. Appenzell 1974

Grosser, Hermann. Hangartner, Norbert: Appenzeller Geschichte, Bd. 3: Appenzell Innerrhoden von der Landteilung 1597 bis ins 20. Jahrhundert. Herisau, Appenzell 1993, S. 38, 119, 149-153, 374f. und 541

Hutter, Marc u.a.: Das Wildkirchli. Dokumentation für Lehrkräfte der Mittel- und Oberstufe. Appenzell 1997

Küng, Josef et al.: Unser Innerrhoden. 2. Aufl. Appenzell 2003, S. 165-170

Rusch, Johann Baptist Emil: Alpines Stillleben. Lindau 1881

Schmid, Elisabeth: Wildkirchli. In: HLS. Version 17.12.2012. URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D12768.php (19.02.2013)

Tags:

Alpstein, Appenzell Innerrhoden, Bildliche Darstellung, Schwende, Wildkirchli, Ebenalp, Radierung, Stich, Kunst

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