Zeitzeugnisse

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Titel:

Unterschlupf für jüdische Kinder

Thema: Politik

Ort: Grub    (Karte anzeigen)

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Datum: 29.07.1944

Masse: 29,7 x 21 cm

Standort: Gemeindearchiv Grub, A.6

Urheber/-in: Schweizerisches Rotes Kreuz, Kinderhilfe

Beschreibung:

Schreiben der Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement über die Unterbringung des Flüchtlingskindes Annette Jakubowicz aus dem Lager Adliswil am 24. Juli 1944 im Kinderheim Friedberg in Grub.
 

Geschichte:

Am 24. April 1944, um etwa 19 Uhr, überschritten drei Kinder bei Genf illegal die Schweizer Grenze. Mit sich trugen sie weder Ausweise noch Gepäck, sondern lediglich 50 Franc. Wie mehrere tausend jüdische Kinder waren die 11-jährige Annette Jakubowicz und ihre beiden Geschwister Régine (10) und Alfred (7) aus dem besetzten Frankreich illegal über die Grenze in die sichere Schweiz geflohen und fanden dank des Einsatzes von Helferinnen des Roten Kreuzes Zuflucht im Kinderheim Friedberg in Grub.

Die drei Kinder wurden kurz nach ihrem Grenzübertritt festgenommen und auf dem Grenzposten verhört, die 50 Franc wurden ihnen abgenommen und auf einem Bankkonto deponiert. Annette gab zu Protokoll, sie seien mit einem Helfer des jüdischen Hilfswerks Œuvre de secours aux enfants (OSE) per Zug und Taxi von ihrem Wohnort St. Etienne bis zur Grenzstadt Annemasse gereist und von dort zu Fuss bis kurz vor die Grenze geführt worden. Dann seien sie alleine weitergegangen. Über ihre Eltern sagte sie: «Mein Papa ist Richtung Nizza abgereist, und seither haben wir nichts mehr von ihm gehört, meine Mutter ist in St. Etienne geblieben.»

Annette Jakubowicz und ihre  Geschwister wurden in der Schweiz interniert und nach dem üblichen Aufenthalt im Quarantänelager, nach Befragungen und medizinischen Untersuchungen ins Flüchtlingslager Adliswil gebracht. In diesem militärisch geführten Lager waren an die 500 Personen in einer notdürftig eingerichteten alten Seidenfabrik untergebracht. Für die Kinder gab es weder eine spezielle Betreuung noch eine Schule, sie waren mehrheitlich sich selbst überlassen. Während der gut drei Monate, die Annette, Régine und Alfred im Lager Adliswil verbrachten, wurden sie jedoch von Helferinnen der Kinderhilfe des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) besucht, die schliesslich veranlassten, dass die Geschwister am 26. Juli 1944 ins Kinderheim Friedberg in Grub gebracht werden konnten. Die SRK Kinderhilfe hatte 1942 vom Bundesrat den Auftrag erhalten, sich um die Kinder in den Lagern zu kümmern und diese in Pflegefamilien oder Heimen unterzubringen.

Das Kinderheim Friedberg war nebst dem Wartheim in Heiden, dem Morgenlicht in Trogen und dem Waisenhaus in Speicher ein appenzellischer Zufluchtsort für jüdische Kinder während der Kriegsjahre. Diese Heime waren «rituell» geführt, das heisst, es wurden jüdische Feste, wie das Pessach- oder das Neujahrsfest, gefeiert. Das Kinderheim Friedberg wurde von der SRK Kinderhilfe geleitet, die Kinder mussten die Schule im Dorf oder den Unterricht im Heim besuchen sowie im Haushalt beim Putzen, Kochen oder Strümpfe stopfen mithelfen. Die Zusammenarbeit der Heimleitung mit der Gemeinde gestaltete sich jedoch schwierig, so wurden Anträge für die Ausleihe von Schulbänken oder das Sammeln von Tannzapfen zum Heizen abgelehnt. Annette, Régine und Alfred fanden im Kinderheim Friedberg während gut eines Jahres Zuflucht, Sicherheit und ausreichendes Essen. Im Juni 1945 musste Régine zwar aufgrund eines Lungenleidens zur Kur in ein Kinderheim in Davos umplatziert werden. Sie durfte aber Ende Juli bereits wieder nach Grub zurückkommen und am 24. Juli 1945 gemeinsam mit den Geschwistern nach Frankreich ausreisen. Im Gepäck hatten die Kinder je drei Essenscoupons, um sich vor der Ausreise in Genf nochmals zu stärken, bevor sie zu ihrer Mutter ins kriegsversehrte Frankreich zurückkehrten. Das Kinderheim Friedberg wurde kurz nach der Abreise der drei Geschwister im August 1945 geschlossen. Im letzten Betriebsjahr beherbergte das Heim rund 33 Mädchen und Buben im schulpflichtigen Alter.

Autorin: Mirjam Hoesli, Winterthur

Literatur:

Quellen:
BAR, E4264#1985/196#34089* Jakubowicz, Annette, 27.02.1933, 1944–1945.

BAR, J.2.55 1995/125 SHEK, Schweizerisches Hilfswerk für Emigrantenkinder.

Literatur:
Schmidlin, Antonia: Eine andere Schweiz. Helferinnen, Kriegskinder und humanitäre Politik 1933–1942. Zürich 1999.

Sieber, Christian: Internierten-, Arbeits-, Emigranten- und Flüchtlingslager im Kanton Zürich 1933–1950. Eine Übersicht. In: Zürcher Taschenbuch 129/2009 (2008), S. 161–175.

Zeder, Eveline: Ein Zuhause für jüdische Flüchtlingskinder. Zürich 1998.

 

Tags:

Grub, Brief, Kinderheim, Flüchtlinge, Zweiter Weltkrieg, Juden

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