Zeitzeugnisse

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Titel:

Zwei Kinder-Rebretter aus Enggenhütten

Thema: Leute

Ort: Schlatt-Haslen    (Karte anzeigen)

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Datum: --.--.1865

Masse: 57,5 x 14,5 cm und 54 x 13,5 cm

Standort: Museum Appenzell, Obj.-Nr. 4842 und 1555

Urheber/-in:

Beschreibung:

Die beiden Kinder-Rebretter von 1865 stammen aus dem Bauernhaus Hintere Mazenau, Enggenhütten, Bezirk Schlatt-Haslen. Auf dem einen Brett wurde der dreijährige Johann Baptist und auf dem anderen der sechs Monate alte Franz Anton Koster aufgebahrt. Die beiden Brüder sind gemäss Eintrag im Sterberegister der Pfarrei Appenzell kurz nacheinander an der Grippe gestorben. Die erste Silbe des Wortes «Rebrett» (belegt ist auch «Ehbrett») ist abgeleitet vom althochdeutschen Wort «rê» und bedeutet «Leiche».
 

Geschichte:

Die Re-, Leichen- oder Totenbretter dienten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Appenzell Innerrhoden zur Aufbahrung der Toten im Sterbehaus. Nach der Beerdigung wurden die Bretter mit einfachen christlichen Emblemen und bisweilen mit floralen Sujets bemalt und häufig mit den Namen und Lebensdaten der Verstorbenen beschriftet. Zur Erinnerung an die Verstorbenen, aber auch als Memento mori heftete man die Rebretter an die Hausfassaden. Dort sollten sie nach den damaligen Glaubensvorstellungen die Toten an der Rückkehr in ihre Häuser hindern.

Die Geschichte der Rebretter liegt weitgehend im Dunkeln. Der Umstand, dass sie in einer abgewandelten Form auch im bayerisch-österreichischen Raum vorkommen, liess die Vermutung aufkommen, dass der Brauch durch Kapuziner, die aus dieser Gegend stammten, nach Appenzell gelangt war. Gegen diese These spricht, dass im 19. Jahrhundert im Kapuzinerkloster Appenzell weder Guardiane noch Vikare aus Süddeutschland oder Österreich wirkten. Die Rebretter waren auch im St. Galler Fürstenland bekannt. Dort wurden sie – wie in Bayern – an Zäunen am Wegrand befestigt. In Appenzell Innerrhoden heftete man sie ausschliesslich an Hausfassaden. An zwei Bauernhäusern in den Bezirken Appenzell und Schlatt-Haslen sind noch drei Rebretter in situ erhalten geblieben. Das Museum Appenzell hat insgesamt zehn Rebretter in seiner Sammlung. Das älteste ist mit 1846 datiert, das jüngste mit 1901. Die wenigen weiteren datierten Rebretter, die in Privatbesitz sind, stammen aus der gleichen Zeitspanne. Das deutet darauf hin, dass der Brauch nur gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also während rund 50 Jahren, ausgeübt wurde. Die meisten Rebretter sind in Brülisau und im Bezirk Schlatt-Haslen belegt. Im Dorf Appenzell ist kein Totenbrett nachgewiesen.

Auch über den Gebrauch des Rebretts kann nur gemutmasst werden, da diesbezüglich keine verlässlichen innerrhodischen Quellen bekannt sind. Belege aus Deutschland lassen vermuten, dass der Tote auf dem Brett gewaschen und angekleidet wurde und dass ihm mit dem Brett die gerade Lage verpasst wurde. Hätte man die Toten zu lange in den damaligen Betten mit den extrem erhöhten Kopfteilen belassen, wäre ein Umbetten in den Sarg kaum mehr möglich gewesen. Im Anschluss an die Herrichtung der Leiche wurde diese auf dem Brett in der Stube aufgebahrt und erst am Tag der Beerdigung vom Brett genommen und in den Sarg gelegt. Anschliessend brachte man das Brett zum Maler, der die Bemalung beziehungsweise Beschriftung anbrachte. Als Maler fungierten oft Lehrer, die im Auftrag der Pfarrei auch die Friedhofkreuze zu beschriften hatten.

Das an der Hausfassade befestigte Brett hatte eine Mehrfachfunktion: Es erinnerte an den oder die Verstorbenen – vom Bauernhaus Schuelerehus, Schlatt, existiert ein Foto (um 1950), auf dem vier Rebretter zu sehen sind. Das Rebrett rief den Vorübergehenden aber auch als Memento mori die eigene Sterblichkeit in Erinnerung. Nach alten Volksglaubensvorstellungen sollte es zudem den Toten daran hindern, als Dämon ins Haus zurückzukehren. An diese Vorstellung geknüpft war der Glaube, dass der Verstorbene seine ewige Ruhe gefunden hätte, wenn das Brett, von der Natur zerstört, von der Hausfassade gefallen war. Das mag mit ein Grund dafür sein, dass verhältnismässig wenige Rebretter erhalten geblieben sind.

Autor: Roland Inauen, Appenzell

Literatur:

Inauen, Roland: Kinder-Rebretter. In: Revue Schweiz (05.08.1998), S. 64.

Fischer, Rainald: Die Kunstdenkmäler des Kantons Appenzell Innerrhoden. Basel 1984 (Die Kunstdenkmäler der Schweiz, Bd. 74), S. 495, 498.

Oberholzer, A.: Das Rebrett. Ein ausgestorbener st. gallischer und appenzellischer Totenbrauch. In: Appenzeller Kalender 247 (1968).

Rusch, Carl: Das Totenbretter- (Rebretter-) Brauchtum in Appenzell Innerrhoden. In: Innerrhoder Geschichtsfreund 39 (1998), S. 140–147.

Urlaub im Bayerischen Wald. URL: http://www.gobayern.eu/totenbrett.html (04.07.2012).

Tags:

Appenzell Innerrhoden, Schlatt-Haslen, Totenbrett, Ritual, Brauch, Totenkult, Volksglaube

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