Zeitzeugnisse

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Titel:

Schlafzelle des Internats im Kollegium St. Antonius

Thema: Kultur

Ort: Appenzell    (Karte anzeigen)

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Datum: --.06.1942

Masse: 17 x 23 cm

Standort: Archiv Gymnasium Appenzell (Fotos, Schachtel 90)

Urheber/-in: Fotograf L. Beringer, Bodmerstr. 2, Zürich

Beschreibung:

Im Westflügel des Kollegiums, der 1941 errichtet wurde, befand sich im 3. Stock - gegen die Gontnerstrasse hin - einer von drei Schlafsälen.  Dieser zählte etwa 50 Zellen, die reihenweise aufgestellt waren. Zur spartanisch eingerichteten Zelle gehörten ein Bett mit Eisenrahmen, weisse Bettwäsche mit Wolldecke und links vom Bett ein schmaler Kleiderkasten. Die auf drei Seiten weiss bemalten Wände waren fast 2 m hoch und gegen den Gang mit einem Vorhang versehen, der nachts gezogen wurde. Die Zelle hatte eine Fläche von ca. 1.90 m Länge und 1.55 m Breite. Der Fensterseite entlang befanden sich die Lavabos. Auffallend ist, dass jedes vierte Lavabo einen Doppelhahn aufwies, d.h. einen Kalt- und Warmwasserhahn, was für die damalige Zeit ein Luxus war. Im Vordergrund stand eine strikte Ordnung, die vom Präfekten genau kontrolliert wurde.

Geschichte:

Seit Bestehen des Kollegiums (1908) wurde der Internatserziehung grosse Aufmerksamkeit geschenkt. Abgesehen vom ersten Schuljahr verzeichnete das Internat bis in die 1970er-Jahre mehr Schüler als das Externat. So waren im Jahre 1943 von den 290 Schülern 212 Interne. In der Internatsordnung bildeten Unterricht, religiöse Erziehung, Wohnen, Verpflegung und Freizeit einen geschlossenen Rahmen. Am deutlichsten zeigt sich das im Tagesablauf, in welchem auch der ganze ausserschulische Alltag festgehalten ist. Bereits im Jahre 1908 bestand ein detaillierter Tagesplan:

5.15  Aufstehen, Morgengebet, Studium
7.30  Frühstück, hl. Messe
8.30-11.30 Schule
11.30  Mittagessen und Erholung
13.30-16.00 Schule
16.00  Vesperbrot und Erholung
17.00-19.30 Studium, Freifächer, Musik
19.30  Nachtessen, Erholung
20.30  Nachtgebet und Nachtruhe
Sonntag, Dienstag- und Donnerstagnachmittag: längere Erholungszeit und Spaziergang

Nebst dem Tagesablauf legte die Hausordnung auch detaillierte Bestimmungen fest wie etwa: Die Schüler hatten „eine beliebige bürgerliche Kleidung“ und ausserhalb des Hauses „eine grüne Mütze mit schwarz-weissem Band“ zu tragen. Der Präfekt überwachte die ein- und ausgehende Post der „Zöglinge“, und Ausgang war nur unter ganz bestimmten Umständen möglich, z.B. beim Besuch von „Eltern und nahen Verwandten“. Einen wichtigen Stellenwert hatte das religiöse Leben. Regelmässige Gebete und der tägliche Besuch der Messe waren selbstverständlich. Auffallend ist, dass im engen Netz der sozialen Kontakte, die das konfessionsbezogene Milieu im Internat mit sich brachte, das Vereinsleben sehr stark ausgeprägt gewesen ist. Vorab religiöse Vereine wie die Marianische Sodalität, der Missionsverein oder die Drittordensgemeinschaft dienten der weltanschaulichen „Erbauung“, während die verschiedenen Sportvereine (Leichtathletik, Kunstturnen, Handball, Skifahren und Langlauf) zur körperlichen „Ertüchtigung“ beitrugen und der Chor, die Blasmusik, das Orchester, die Rhetoriker- und die Theatergruppe der musischen Förderung galten. Damit nicht genug, in der Freizeit standen Interessenten noch der Studentenverein, der Stenografenring, der Abstinentenverein und der Cercle Français zur Verfügung.

Natürlich zeichnete sich im Verlauf der Zeit ein stetiger Wandel ab. Die Tagwacht beispielsweise wurde für die Internen 1935 von 5.15 auf 5.30 Uhr und im Jahre 1952 auf 5.50 Uhr angesetzt. Ende der 1960er-Jahre erscholl der Weckruf um 6.00 Uhr, wobei der Gottesdienst nicht mehr täglich, sondern zweimal pro Woche verpflichtend war. Von 1976 an lautete die entsprechende Bestimmung: „Ab 6.00 Uhr Aufstehen… Gelegenheit zum Besuch der hl. Messe.“ Seit den 1990er-Jahren ist in der Jahreschronik bloss noch vermerkt: 6.45 Uhr Gelegenheit zum Besuch der hl. Messe; 7.30 Uhr Frühstück.“ Heute gibt es für die Internen keine religiösen Verpflichtungen mehr, und die Hauskapelle mit ihrem grossen und eindrücklichen Wandfresko aus den 1950er-Jahren ist 2010 total umgebaut und umfunktioniert worden.

Ähnliche Beispiele, die die veränderte Lebensgestaltung im Internat verdeutlichen, lassen sich in vielen alltäglichen Erscheinungen aufzeigen. Es gibt heute nur noch wenige aktive Vereine (Studentenverbindungen, Sodalität, Schülerorganisation und Kulturgruppe). Die fast legendären Schlafsäle sind seit Ende der 1970er-Jahre durch Zimmer ersetzt worden. Heute verfügt jede/r Internatsschüler/in über ein eigenes Zimmer und kann viele persönliche Rechte im Alltag geltend machen.

Der einstige für die katholischen Internate so typische Lebensstil, der etliche monastische Elemente aufwies, ist aus dem damaligen Zeitgeist zu verstehen und wäre heute nicht mehr denkbar.

Autor: Josef Küng

Literatur:

Archiv Gymnasium St. Antonius, Appenzell: Organisation, Leben (Schachteln 40-47, 70-75)

Küng, Josef: Hausordnung und pädagogische Zielvorstellungen in der Retrospektive, in: Aufbau und Vermächtnis. Vom Kapuzinerkollegium zur Kantonsschule Appenzell, hg. von E. Bucher und J. Küng, Appenzell 1999, S. 123-139
 

Tags:

Appenzell Innerrhoden, Fotografie, Appenzell, Bilddokument, Bildung, Mittelschule, Heim, Kirche (römisch-katholisch), Kollegium, Kollegi, Gymnasium, Internat, Kapuziner

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