Zeitzeugnisse

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Titel:

Tagebuch zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Thema: Leute

Ort: Herisau    (Karte anzeigen)

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Datum: --.08.1914

Masse: 25 x 20 cm

Standort: Staatsarchiv Appenzell Ausserrhoden, Pa.08-039; Vorbesitz Monica Merz-Bächtold, Heiden

Urheber/-in: Dorothea Bächtold-Preiswerk, London

Beschreibung:

Erste Seite der Tagebuchaufzeichnungen von Dorothea Bächtold-Preiswerk (1881-1954). Dorothea Bächtold war die Ehefrau des Teilhabers der Stickereifirma „Bächtold & Co., Embroideries & Laces“ an der „Aldermanbury Avenue“ in London. In ihrem Tagebuch vom 1. August bis 9. September 1914 beschreibt sie die Abreise ihres Ehemanns Hermann Bächtold (1874-1950) zurück in die Schweiz nach der Verkündung der Mobilmachung am 1. August 1914, das Bestreiten des Alltags alleine und hochschwanger mit ihren zwei Kindern in London, ihre Geldnot sowie ihre Ängste und Sorgen über die eintreffenden Kriegsnachrichten.
 

Geschichte:

Hermann Bächtolds Vater Julius Bächtold (1846-1932) gründete 1881 in Herisau eine Exportfirma, welche 1887 mit der Firma „August Diem & Lutz“ zusammengeschlossen wurde. Die Firma exportierte zunächst vor allem Jacquard-Stoffe und Kettenstichvorhänge, später zunehmend Maschinenstickereien. 1900, nach dem Tod der beiden Associés August Diem und Ernst Lutz, trat sein Sohn Hermann als Teilhaber in die Firma ein. Im gleichen Jahr richtete die Firma am „Moosberg“ (Kasernenstrasse) eine Fabrik mit 16 Schifflistickmaschinen ein.

1909 zogen Hermann und Dorothea Bächtold-Preiswerk mit ihrem Kind Hermann (1907-1954) nach London, wo sie das Geschäft „Bächtold & Co., Embroideries & Laces“ errichteten, welches die in Herisau produzierten Stickereien und Spitzen vertrieb. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs stürzte das Geschäft jedoch in eine Krise. Eindrücklich beschrieb Dorothea Bächtold in ihren Tagebuchnotizen den ersten Monat nach der Abreise ihres Ehemanns. Bereits in den ersten Augusttagen war die Kriegsstimmung deutlich zu spüren: „Die City sieht verlassen aus, die Gesichter der Geschäftsherren sind finster. Die Banken bleiben bis Freitag geschlossen. Der Münzmangel in den suburbanen Geschäften ist sehr empfindlich.“ Die Geldnot bedrückte die Zurückgebliebene sehr: „Es heisst äusserste Einschränkung im Haushalt.“ Das Geld wurde so nötig gebraucht, dass es nicht einmal für ein Telegramm in die Heimat reichte. Auch nicht für Schokolade, die sie ihren Kindern so gerne geschenkt hätte. Sorgen bereiteten ihr auch die Zeitungsnachrichten zum Kriegsgeschehen: „Wenn es nur unsern lieben, tapfern Schweizern vergönnt ist das Vaterland vor Unheil zu schützen!“ Es zerreisst ihr fast das Herz, als am 19. August 1914 erneut 700 Schweizer Wehrmänner aus London zurück in die Schweiz reisen und ihre Frauen und Kinder beinahe mittellos zurücklassen mussten. Wenigstens durfte sie selber in ihrem hochschwangeren Zustand viel Unterstützung und Mitgefühl erfahren. Sie gab ihrer Dankbarkeit gegenüber den Engländerinnen und Engländern in ihrem Tagebuch Ausdruck, obwohl sie zwischendurch auch belustigte Bemerkungen über die englische Bevölkerung machte: „Aber ein merkwürdiges Volk sind sie doch, heute habe ich wieder am frühen Morgen junge kräftige Männer angetroffen wie sie eben im weissen Flanellanzug zum Tennis schlenderten. Dass sie nicht fühlen wie lächerlich sie sich machen.“ Die Tagebuchaufzeichnungen enden am 9. September 1914 mit dem Aufschrei: „Wo sind die Christen, wo ist die Civilisation?“

Im April 1915 kehrte Dorothea Bächtold mit ihren drei Kindern Hermann, Margaret und Charles nach Herisau zurück. Dort präsidierte sie während 25 Jahren die Kommission der Arbeitsschule und wirkte in der Kommission für Ferienkolonien mit.

Das Stickereigeschäft, zu welchem 1925 eine Strumpfwirkerei hinzugekommen war, übergab Julius Bächtold im März 1927 seinem Sohn Hermann. Das Geschäft wurde noch über zwei Generationen weitergeführt, bevor es 1997 geschlossen wurde.

Im Juni 2014 gelangten die Tagebuchaufzeichnungen von Dorothea Bächtold als Bestandteil des Firmennachlasses Bächtold & Co. durch ihre Enkelin ins Staatsarchiv.

Autorin: Kathrin Hoesli, Herisau

Literatur:

Quellen:
StAAR, Pa.071 Firmenarchiv Stickerei Bächtold und Co., London und Herisau.

StAAR, D. 17-02 Handelsregister.

StAAR, EWK-02-K3.B-1341 Familienblätter Herisau.

Literatur:
Fuchs, Thomas et al.: Geschichte der Gemeinde Herisau. Herisau 1999, S. 209, 211, 249.

Holderegger, Peter: Unternehmer im Appenzellerland. Geschichte des industriellen Unternehmertums von Appenzell A.Rh. von den Anfängen bis zur Gegenwart. Herisau 1992, S. 184f.

Rotach, Walter: Die Gemeinde Herisau. Ortsbeschreibung und Geschichte. Herisau 1929, S. 587.

 

Tags:

Herisau, Krieg, Textilindustrie, Stickerei, London, Erster Weltkrieg, Tagebuch

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